Wir haben uns dazu entschieden, mit dem uns angebotenen Stand auf der Veganfach nicht im herkömmlichen Sinne teilzunehmen, sondern den Raum dafür zu nutzen, unsere Kritik an der Messe zu formulieren und eine herrschaftskritische Position einzubringen.
Wir haben dieses Schreiben angefertigt, um uns bezüglich der Veganfach zu positionieren und eine kritische Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Diskurs um Veganismus sowie die Verwobenheit und Sichtbarmachung verschiedener Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse anzuregen und somit auch der einseitigen Auseinandersetzung mit dem Thema Tierausbeutung und Veganismus den Rücken zu kehren.
Wir verstehen unsere Politik darin, aktiv gegen herrschaftsförmige Diskurse und ausbeuterische Verhältnisse in unserer gegenwärtigen Gesellschaft vorzugehen. Das heißt unter anderem, dass wir uns explizit gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem, gegen den heteronormativen, rassistischen und sozialchauvinistischen Alltag von Ausgrenzung, Ausbeutung, Abschiebung, Diskriminierung, Überwachung, Stigmatisierung und Verfolgung stellen. Der Fokus unserer politischen Arbeit liegt dabei auf Tierbefreiung. Wir sehen diesen einen Aspekt aber niemals losgelöst von der Auseinandersetzung mit anderen Unterdrückungsverhältnissen und nehmen es damit auch nicht in Kauf, dass Politik für ein angeblich gleiches Ziel (hier: die unterstellte Beendigung von Tierausbeutung) auf dem Rücken anderer Ausbeutungsverhältnisse ausgetragen wird, bzw. sich dieser sogar bedient wird, um das vermeintlich gleiche Ziel zu erreichen.
Kritikpunkte an der Veganfach
Für uns ist die Veganfach aus mindestens zwei Gründen eine Veranstaltung, die mit tierbefreierischen und herrschaftskritischen Ansätzen nicht zu vereinbaren ist und somit die Beteiligung unsererseits ausschließt. Zum Einen ist die zentrale These der Messe, dass Gesellschaft und das Bewusstsein über angeblich ethisch und ökologisch korrekten Konsum verändert werden kann. Damit ist die Veganfach eine reine Konsumveranstaltung ohne herrschaftskritischen Anspruch, die sich kapitalistischer Logiken bedient und die damit einhergehenden Ausbeutungs-, Ausgrenzungs- und Konkurrenzverhältnisse reproduziert. Zum Anderen kritisieren wir die Konstruktion von einem Gemeinschaftsgefühl über das Kriterium des „Veganseins“. Diese beiden Punkte wollen wir näher ausführen.
1. Der Konsum im Kapitalismus
Konsum ist kein Prozess der bewussten Auseinandersetzung. Dem Konsum im Kapitalismus geht immer die Begrenzung der Entscheidungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume auf konsumierbare Waren voraus. Und selbst diese sind begrenzt: Welche Waren überhaupt konsumiert werden können, entscheidet nicht zuletzt der eigene Geldbeutel. Für Viele ist es aus finanziellen Gründen nicht möglich, all ihre Waren „fair“ und/oder „bio“ zu kaufen. Wird das konsumierte Produkt unabhängig davon mit einer moralischen Bewertung der Konsumhandlung als gut oder schlecht dargestellt, wird dieser herrschaftsförmige Prozess geleugnet. Der Akt des Konsumierens an sich und die Verhältnisse, die dahinter stehen, werden als alternativlos und indiskutabel dargestellt.
Dabei wird auch ausgeblendet, dass die Definitionen darüber, was überhaupt als ethisch/ökologisch korrekt bezeichnet werden darf, aus machtvollen Institutionen kommen, die fest im kapitalistischen Wirtschaftssystem verankert sind. Auch hinter der Frage nach „fair trade“ und „bio“ stecken Lobbys und wirtschaftliche Interessen, die in gegenseitiger Konkurrenz stehen.
Der Konsum, wie er heute stattfindet, funktioniert nur über kapitalistische Produktionsweisen und Produktionsverhältnisse, d.h. die Überlebensfähigkeit des eigenen Betriebs/Produkts ist nur dann gewährleistet, wenn das konkurrierende Produkt aus dem Weg geschafft wird und/ oder das eigene Produkt noch attraktiver gemacht wird etc. Dafür muss ein Bedürfnis an bestimmten Produkten aufrecht erhalten werden. Um dieses Bedürfnis aufrecht zu erhalten wird sich zwangsläufig auch der Werbung bedient. Zur Verbesserung des Absatzes eines Produktes kommen herrschaftsförmige Diskurse um Geschlecht, Schönheit, Alter, sozialer Status, Gesundheit, oder eben mittlerweile auch ethischer/ökologischer Korrektheit (fairtrade/bio) zum Einsatz. Dabei werden jene Fragen ausgehandelt, die Menschen in herrschaftsförmige und hierarchische Verhältnisse zueinander setzen, unter anderem: Bin ich schön? Welches Geschlecht habe ich? Bin ich Gesund? Bin ich erfolgreich? Bin ich zu alt/jung?
Im kapitalistischen Alltag wird von allen Menschen verlangt, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen und innerhalb dieser normativen Konzepte zu verorten.
Die Veganfach stützt mit ihrer herrschaftsförmigen Produktschau diese Mechanismen. Die einzelnen Repräsentant_innen von Betrieben/Produkten an den verschiedenen Ständen reproduzieren unserer Auffassung nach eben jene Normen von Schönheit, Alter, Geschlecht, Gesundheit etc. und verhüllen alles unter einem Veganismus-Mantel mit ethisch / ökologisch progressivem Bewusstsein und dem Anspruch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und sie mit Liebe zu füllen.
2. Die Konstruktion von Veganer_innen
Solch ein Ort kann jedoch nicht ohne einen allgemeinen Wandel der Produktionsverhältnisse entstehen. Der Definition und dem Anspruch von Veganismus, sich in der Welt um uns herum zu bewegen, ohne weiteres Leid und ohne weitere Ausbeutung an anderen Tieren zu unterstützen, kann in dieser Gesellschaft niemals entsprochen werden. Jedes Feld, das bestellt wird, jeder Baum, der gefällt wird und jede Verpackung, die produziert wird, fordert Lebensraum und das Leben etlicher Individuen. Die Frage nach Veganismus bzw. nach dem „Vegansein“ kann nie erschöpfend beantwortet werden, da das „Vegansein“ kein vollendeter Zustand ist und es nie sein kann. Es muss immer ein dynamischer Prozess bleiben, der aushandelbar ist. Die Aushandlung darüber, was vegan ist und was nicht, wird stetig fortgeführt und von den Gruppen und Zusammenschlüssen bestimmt, die die derzeitige diskursive Vormachtstellung haben, d.h. die über die meisten Privilegien wie z.B. Ressourcen oder gesellschaftliche Stellung verfügen. Diejenigen Personen, die nicht in das gegenwärtige Definitionsschema von „Vegansein“ fallen, werden dadurch unglaubwürdig gemacht, aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ausgeschlossen und unsichtbar gemacht. Das widerspricht unseren Vorstellungen von emanzipatorischer Politik.
Wir werden dieses Schreiben den Organisator_innen der Veganfach übermitteln, sowie eine weitere Diskussion über die Thematik anregen.