Feminismus und Tierbefreiung

Feminismus und Tierbefreiung

Zu den Zusammenhängen und Differenzen der Achsen von Herrschaft in Geschlechterverhältnissen und Mensch-Tier-Verhältnissen

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Alle Veranstaltungen finden im Versammlungsraum des Mehringhofs, Gneisenaustraße 2a, U6/U7/M19 (Mehringdamm) statt. Der Eintritt ist frei.

  • Die Abstracts zu den einzelnen Veranstaltungen befinden sich unten
  • Audiomitschnitte der Veranstaltungen sowie die Präsentationen der Referent_innen befinden sich ganz unten
  • Ankündigungstext

    Tierbefreiung und Antispeziesismus können als Versuch gelten, linke gesellschaftskritische Ansätze auf nichtmenschliche Tiere auszuweiten. Die Befreiung aus Unterdrückungsverhältnissen hört nicht beim Menschen auf und so gilt es, auch für nichtmenschliche Tiere einen Status jenseits von Ausbeutung und fernab eines Lebens als Objekte menschlicher Verfügungsgewalt zu erstreiten. Um dem Anspruch einer emanzipatorischen Praxis gerecht zu werden, ist es wichtig, Herrschaftsformen zu erkennen und zu bekämpfen. Es stellt sich die Frage nach Schnittpunkten zu anderen gesellschaftlichen Kämpfen.Auf aktivistischer wie auch theoretischer Ebene sind hier neben den Kämpfen der Arbeiter_innenbewegung und der antirassistischen Bewegung speziell die feministischen Traditionen hervorzuheben. So galt der teilweise militant geführte Kampf der Suffragettenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien sowohl der Einführung des Wahlrechts für Frauen als auch der Abschaffung von Tierversuchen. In der Bürger_innenrechtsbewegung in den USA sind ebenfalls Beispiele für die Verknüpfung von feministischen und Tierbefreiungsgedanken zu finden. In Deutschland setzte sich Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem teile der sehr vielfältigen Reformbewegungen für speziesübergreifende Befreiung ein. So trat z.B. der Bund für radikale Ethik nicht nur für Tierschutz bzw. Tierrechte und Vegetarismus ein, sondern auch für menschliche Belange wie Pazifismus, Frauenwahlrecht oder die Abschaffung der Todesstrafe. Auch in der jüngeren Geschichte gibt es viele personelle und inhaltliche Schnittpunkte. Aus der Student_innenbewegung der 1968er gingen an einigen Orten auch Tierschutz- bzw. Tierrechtsgruppen hervor. Auch die Notwendigkeit der theoretischen Verknüpfung feministischer und tierbefreierischer Ansätze wird von etlichen zeitgenössischen Autor_innen betont. Beispiele hierfür sind unter anderem Barbara Noske, Birgit Mütherich, Susanna Harringer, Josephine Donnovan, Carol J. Adams, Marti Kheel und Donna Haraway.

    Die Grundlagen der beiden genannten Herrschaftsverhältnisse weisen viele Parallelen auf. So werden in dualistischen Schemata machtvoll die jeweiligen Grenzen (zwischen ‚Mann‘ und ‚Frau‘ sowie zwischen ‚Mensch‘ und ‚Tier‘) gezogen und naturalisiert. Ebenso wird jegliche Form der Existenz eines ‚Dazwischenliegenden‘ in der binären Logik verleugnet und so die Norm erst konstruiert. Die Zuschreibungen der jeweiligen (Rollen-)Bilder überschneiden sich stark und stehen in Zusammenhang mit weiteren Kategorien wie Natur/Kultur oder Körper/Geist. So ist sowohl der Sexismus als auch der Speziesismus eine Ausprägung des Denkens in einer ‚westlichen‘ Philosophietradition sowie der damit im Zusammenhang stehenden historisch-gesellschaftlichen Strukturen.

    Die Veranstaltungsreihe ‚Feminismus und Tierbefreiung – Zu den Zusammenhängen und Differenzen der Achsen von Herrschaft in Geschlechterverhältnissen und Mensch-Tier-Verhältnissen‘ will sich der Thematik von verschiedenen Seiten aus nähern. Es wird auf die Parallelen zwischen Geschlechterverhältnissen und Mensch-Tier-Verhältnissen eingegangen, auf feministische Kritik an und aus der Tierbefreiungsbewegung, sowie auf die Ansätze der Queer Theory – sowohl als Instrument zur Untersuchung von Diskursen über die Sexualitäten von nichtmenschlichen Tieren als auch zur Reflexion veganer und tierbefreierischer Identitäten. Zu diesem breiten Themenspektrum organisiert die Berliner-Tierbefreiungs-Aktion (BerTA) mehrere Veranstaltungen.



    Die Veranstaltungstermine im Detail / Abstracts:

  • Mittwoch, 23.03.2011, 19:00 Uhr
    • Zur Bedeutung von Dualismen, Herrschaft und der Konstruktion des Anderen – Parallelen zwischen Geschlechterbinarität und Mensch-Tier-Verhältnis
      Sabine Hastedt, Bremen

      „We believe that all oppressions are interconnected: no one creature will be free until all are free – from abuse, degradation, exploitation, pollution, and commercialization. Women and animals have shared these oppressions historically, and until the mentality of domination is ended in all its forms, these afflictions will continue.“ [1]

      In der feministischen Bewegung und Ideengeschichte hat die Integration verschiedener Benachteiligungen (etwa aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit) in den letzten Jahrzehnten an Wichtigkeit gewonnen. Auch gibt es – vor allem von ökofeministischer Seite – Erkenntnisse zur Verbindung der Unterdrückung von Frauen und nichtmenschlichen Tieren. Denn, so impliziert das obige Zitat, Unterdrückungsverhältnisse und -formen sind miteinander verwoben, beeinflussen sich gegenseitig und können nur aufgelöst werden, wenn das zugrundeliegende Prinzip von Hierarchisierung und Abwertung aufgelöst wird. In dem Vortrag sollen die strukturellen Ähnlichkeiten im Geschlechterverhältnis und Mensch-Tier-Verhältnis aufgezeigt werden: Welche Rollen spielen etwa soziale Konstruktionen und Dualismen?
      Ziel ist es, die Analogien zwischen dem sozialen Status von Frauen und nichtmenschlichen Tieren darzulegen, indem verschiedene theoretische Ansätze dazu vorgestellt und zusammengefasst werden, aber auch, indem ein dekonstruktivistisch – feministischer Ansatz (vor allem nach Judith Butler) auf ihre Übertragbarkeit auf die Mensch-Tier-Beziehung geprüft wird.

      [1] Adams, Carol J./ Donovan, Josephine 2006: Introduction. In: Adams, Carol J./ Donovan, Josephine (Hrsg.): Animals and Women – Feminist Theoretical Explorations, 3. Auflage, Durham: Duke University Press.


  • Mittwoch, 06.04.2011, 19:00 Uhr
    • Der Fleischvergleich – Feministische Diskurse in der Tierbefreiungs/Tierrechtsbewegung
      Andrea Heubach, Berlin

      Frauen und Tiere werden gemäß Carol J. Adams – der derzeit bekanntesten Vertreterin feministischer Tierrechts-Positionen – „zu Fleisch gemacht“, wenn auch in der Regel auf verschiedene Art und Weise. Einigkeit besteht häufig darüber, dass die Unterdrückung von Frauen und Tieren vielfältige Parallelen aufweist. Doch ist ‚Fleisch‘ wirklich gleich ‚Fleisch‘?

      Der Vortrag wirft anhand der Diskussion um sexistische Tierrechtskampagnen einen Blick auf feministische Diskurse innerhalb der Tierrechtsbewegung. Dabei werden die in der Bewegung hegemonialen feministischen Positionen sowie queer-feministisch motivierte Kritikpunkte an den vorherrschenden Credos aufgezeigt: Nicht nur gegen die in die Kritik geratenen Kampagnen erscheint der Vorwurf des Sexismus angebracht, auch die innerhalb der Protestbewegung vorherrschende öko- oder radikalfeministische Kritik erscheint zum Teil problematisch.


  • Mittwoch, 20.04.2011, 19:00 Uhr
    • Gemeinsame Geschichte der Tierbefreiungsbewegung und Frauenbewegung
      Fred Winter, Frankfurt a.M.

      Die Tierbefreiungsbewegung ist als solches keine „alte“ Bewegung. Dennoch hat auch sie bereits Vorfahrinnen, z.B. die Antivivisektionsbewegung (Antitierversuchsbewegung).

      Diese besitzt Verbindungen zum damaligen Kampf um das Frauenwahlrecht in Großbritannien. Eine der berühmtesten Antivivisektionsaktivistinnen, Frances Power Cobbe etwa, sah schon damals eine Verbindung zwischen der (männlichen) Gewalt an Frauen und der Gewalt an Tieren. Das Frauenwahlrecht sollte ihnen die Chance geben, die Abscheulichkeiten männlicher Gewaltausübung, z.B. Tierversuche, abschaffen zu können bzw. diese besser und legitimiert bekämpfen zu können. Dieser Kampf wurde teilweise militant, durch direkte Aktionen, geführt.

      Um die eigene Geschichte näher kennen zu lernen, um neue Ideen zu entwickeln und wichtige Verbindungen zwischen den Unterdrückungsmechanismen zu begreifen, lohnt sich ein Blick in bereits vergangene Zeiten. So soll der Vortrag eher eine historische, bestimmt nicht lückenlose, Zusammenfassung eines spannenden Themas sein.

      Um Ausblicke auf weitere gemeinsame Vorgehensweisen geben zu können, soll nach dem Input eine Diskussion starten, um heutige Verbindungen zwischen der (queer-) feministischen Bewegung und der Tierbefreiungsbewegung zu beleuchten. Bestehen diese überhaupt noch und wenn ja, wo liegen die Schwerpunkte? Auf diese Fragen sollen gemeinsam Antworten gefunden werden.

      Der Vortrag wird von einem Aktivisten gehalten, setzt bewusst keine Vorkenntnisse oder ein Studium voraus und richtet sich an andere Aktivist_innen und interessierte Zuhörer_innen.


  • Mittwoch, 04.05.2011, 19:00 Uhr
    • Queer Theory zur Kritik veganer „Identitätspolitik“
      Markus Kurth, Berlin

      Im klassischen Sinne wird unter Identitätspolitik eine auf der Grundlage gemeinsamer Unterdrückungs-/Diskriminierungserfahrungen gebildete kollektive Identität verstanden, die den Ausgangspunkt für politische Handlungen darstellt (so z.B. die geteilten Erfahrungen als „Frau“ in der Frauenbewegung). Spätestens seit dem Einzug der Queer Theory in feministische Strömungen ist jedoch klar, dass auch als selbstverständlich angenommene Kollektividentitäten nur unter streitbaren Vorannahmen entstehen, Bündnisse verhindern können und nach innen neue Normen aufstellen.

      Von den queerfeministischen Thesen sind auch politische Bewegungen betroffen, die nicht aus einer geteilten Identität heraus entstanden sind. Denn auch sie neigen oft zur Konstruktion einer solchen gemeinsamen Identität als Handlungsvoraussetzung. So scheint über die großen politisch-weltanschaulichen Differenzen hinweg die geteilte Praxis des Veganismus die verschiedenen Tierrechts-und Tierbefreiungsaktivist_innen mehr als nur zufällig zu verbinden. Da bereits alle Aktiven vegan „sind“, bedarf es keiner Diskussion darüber, was vegan zu sein überhaupt bedeuten kann. Die Übertragung der identitätskritischen Konzepte der Queer Theory auf den Veganismus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung kann helfen dessen „identitätspolitische“ Züge zu entschlüsseln und eine Diskussion über eine veränderte Praxis anstoßen.

      Dazu wird ein Vortrag kurz in die Geschichte und Gedanken der Queer Theory einführen, nach der Übertragbarkeit der Konzepte auf den Veganismus fragen und das Verhältnis zwischen veganer Identität und Realität der Mensch-Tier-Verhältnisse problematisieren. Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt.


  • Mittwoch, 18.05.2011, 19:00
    • Vergeschlechtlichte Tiere – eine queer-theoretische Betrachtung des Mensch-Tier-Verhältnisses
      Swetlana Hildebrandt, Lausanne/Berlin

      Ob wir es wollen oder nicht, wir nehmen Tiere oft nicht nur als nicht-menschlich war, auch das Geschlecht eines Tieres kann für uns durchaus von Bedeutung sein. Dabei erscheint es gar zu „natürlich“ auch Tiere gemäß unserer heterosexuell geprägten Wahrnehmung als entweder männlich oder weiblich zu lesen. In diesem Vortrag soll es nicht um die Freiheit der Wahl der sexuellen Identität von Tieren gehen, sondern gezeigt werden, dass Geschlecht (gender) eine relevante Kategorie für die Wahrnehmung von Tieren ist und das bei dem Versuch gender zu dekonstruieren auch Tiere und ihre Position in der Gesellschaft mit betrachtet werden sollten. Für diese Überlegungen liefert die Queer-Theorie einige interessante Denkanstöße.

      Dabei handelt es sich um einen theoretischen Ansatz, der sich nicht nur der Dekonstruktion von Geschlecht verschrieben hat, sondern jeglicher Art von Normen eine Absage erteilt. Über eine kurze Einführung in diese Theorie wird die Frage erörtert, ob diese auch für die Tierbefreiungsbewegung von Bedeutung sein kann. Des weiteren soll diskutiert werden, ob sich die Queer-Theorie der Analyse der gesellschaftlichen Position von Tieren intensiver widmen sollte.


  • Mitschnitte und Präsentationen von den Veranstaltungen

  • An dieser Stelle werden nach und nach die Audiomitschnitte sowie die von den Referent_innen gezeigten Präsentationen veröffentlicht. Bei Interesse können sie heruntergeladen werden.

    Vortrag 2 Dr. Andrea Heubach: Der Fleischvergleich – Feministische Diskurse in der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung