Tierbefreiung statt Tierrechte

Tierbefreiung statt Tierrechte

– eine politische Begründung der Umbenennung der BerTA –

Seit mehr als zehn Jahren finden sich nun schon Aktivist_innen in Berlin und Umgebung zusammen, um unter der Bezeichnung „Berliner-Tierrechts-Aktion“ für eine Veränderung des gegenwärtig vorherrschenden Mensch-Tier-Verhältnisses zu streiten. Dies ist nun vorbei. Denn das Kürzel „BerTA“ wird in Zukunft für „Berliner-Tierbefreiungs-Aktion“ stehen.
Mit der Namensumbenennung werden wir nicht plötzlich unsere theoretischen Grundlagen, politischen Überzeugungen und Handlungsformen über den Haufen werfen. Im Gegenteil, unsere politische Praxis sowie unsere Gesellschaftsanalyse entwickelt sich ständig weiter und mit der Umbenennung wollen wir diesen Prozessen Rechnung tragen. Denn es ist keineswegs das radical chic des Begriffs Tierbefreiung/Animal Liberation, was uns dazu veranlasst uns umzubenennen, sondern das Unbehagen, dass sich unsere gegenwärtigen Überlegungen zum Mensch-Tier-Verhältnis und der Notwendigkeit auf dieses verändernd einzugreifen, längst nicht mehr im Begriff Tierrechte widerspiegelt.

Mit diesem Text wollen wir die Umbenennung begründen und sowohl unsere Kritik am Tierrechtsbegriff als auch die Bedeutung des Konzepts „Tierbefreiung“ in wesentlichen Aspekten wiedergeben. Dass dabei einige Aspekte nur angerissen werden, statt sie in aller Ausführlichkeit zu betrachten, ist uns durchaus bewusst. Wir wollen hier aber nicht unser Selbstverständnis verschriftlichen, sondern Anregungen für eine Debatte um theoretische Grundlegungen und Handlungsformen innerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung liefern.

Tier–Rechte?

Der Name einer Gruppe ist längst noch kein Programm. Politische Überzeugungen und Handlungsformen drücken sich viel eher in einer konkreten politischen Arbeit aus. Dennoch ist weder der Bezug auf Tierrechte noch die Befreiung der Tiere völlig hintergrundslos, sondern steht in einem spezifischen sozialen und historischen Kontext.

Die Forderung nach Tierrechten war geschichtlich zunächst einmal eine Abgrenzung zu Vorstellungen, nach denen die Nutzung von nichtmenschlichen Tieren in irgendeiner Weise legitim sei, wie es etwa Tierschutzpositionen nahelegen. Demgegenüber kämpfte die sich seit den 1970er Jahren organisierende Tierrechtsbewegung für die Abschaffung der Nutzung, Gefangenhaltung und Tötung nichtmenschlicher Tiere. Sie sollten nicht auf die Barmherzigkeit der Menschen angewiesen sein, sondern sie sollten Rechte haben, die sie vor Eingriffen auf ihre Freiheit, ihr Leben und ihre psychische und physische Integrität schützen.

Zwei wesentliche Bedeutungen des Begriffs Tierrechte sind dabei zu unterscheiden, um sich der Diskussion zu nähern, inwiefern das Ziel der Abschaffung der Ausbeutung und Nutzung nichtmenschlicher Tiere über die Forderung nach Tierrechten erreicht werden kann.
Im ersten Verständnis von Tierrechten geht es vor allem um moralische Abwägungen von Handlungen, die nichtmenschliche Tiere betreffen. Es wird versucht zu begründen warum nichtmenschlichen Tieren individuelle Rechte zustehen und diese berücksichtigt werden sollten. Grundlage sind ethische Überlegungen, nach denen nichtmenschliche Tiere (je nach Standpunkt) schmerz- und leidempfindende Wesen seien, ihnen ein „inhärenter Wert“ zu kommen würde oder sie über irgendwelche Fähigkeiten verfügen, die es gebieten, sie in die moralische Gemeinschaft der Menschen mit aufzunehmen.
Andererseits können Tierrechte auch dahin gehend verstanden werden, einen bestimmten Umgang mit nichtmenschlichen Individuen juristisch festzuschreiben. Das kann ein Recht auf Leben sein oder der Schutz vor willkürlicher Gewalt.

Beide Konzeptionen werfen aber Problematiken auf: Im erstgenannten Verständnis geht es vor allem darum anzuerkennen, dass nichtmenschlichen Tieren ein Rechtsstatus zukommt und sie nicht bloß Objekt moralischer Überlegungen der Menschen sein sollten. Gegründet sind diese Forderungen auf Vorstellungen, nach denen „Bewusstsein“ oder „Würde“ nicht nur Menschen, sondern auch nichtmenschlichen Tieren zukommen. Nicht nur, dass Individuen hier nicht im Hinblick auf ihre Einzigartigkeit, sondern entlang von vereindeutigenden, d.h. homogenisierenden Wesensmerkmalen betrachtet werden; das Maß aller Dinge bleibt „der Mensch“. An dessen Selbstverständnis müssen nichtmenschliche Tiere gemessen werden, um ihnen eine andere Behandlung als die gegenwärtige zu Teil werden zu lassen. Vorstellungen einer vermeintlichen Minderwertigkeit werden damit aber zumindest Vorschub geleistet.
Dass nichtmenschliche Tiere gegenwärtig überhaupt genutzt und getötet werden, wird vor allem darauf zurückgeführt, dass die behaupteten Wesensmerkmale vom Großteil der Menschen nicht anerkannt werden. Entsprechend laufen auf diesen Annahmen gegründete Handlungsstrategien von Tierrechtler_innen darauf hinaus, die Menschen über Wissensvermittlung und Aufklärung zur „Vernunft“ zu bringen und die Rechte von Tieren anzuerkennen. Speziesismus wird hier nicht als gesamtgesellschaftliches Verhältnis betrachtet, sondern nur auf „Ignoranz“ und „problematische Einstellungen“ der Menschen zurückgeführt. Aber in einer Gesellschaft, in der es im wahrsten Sinne des Wortes Recht und Gesetz ist, nichtmenschliche Tiere als Eigentum zu betrachten und in der die vermeintliche Minderwertigkeit sowohl in Kühltheken als auch in der Sprache jedem tagtäglich vor Augen geführt wird, werden Menschen immer wieder „vernünftige“ Gründe finden, die Ausbeutung von nichtmenschlichen Tieren als ihr gutes Recht wahrzunehmen. Nicht „Boshaftigkeit“ und „mangelndes Wissen“ führen zum Speziesismus, sondern es sind die gesellschaftlichen Denkformen, Strukturen und Herrschaftsverhältnisse, die immer wieder aufs Neue eine Ordnung hervorbringen, in der sowohl nichtmenschliche Tiere als auch Menschen unterdrückt, ausgebeutet und ermordet werden. Auch sie müssen Gegenstand der Auseinandersetzungen um ein verändertes Mensch-Tier-Verhältnis sein.

Im zweitgenannten Verständnis wird vor allem auf eine Veränderung der rechtlichen Stellung von nichtmenschlichen Tieren im juristischen Sinne hingewirkt. Zumindest implizit werden Instanzen angerufen, die zur Veränderung von Rechten legitimiert sind, wie Parlamente, Verfassungsgerichte oder Parteien als Interessenvertreter_innen. Untrennbar mit der Rechtssprechung verbunden sind aber auch Instanzen, die mit ihrer Umsetzung beauftragt sind, etwa Polizei, Ämter und Gerichte. Mit dem Bezug auf rechtsstaatliche Autoritäten sollen aber genau jene Instanzen mit der Durchsetzung von Tierrechten beauftragt werden, deren Aufgabe es ist, Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen in dieser Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Wenn das gegenwärtige Mensch-Tier-Verhältnis durch eben jene Strukturen aufrechterhalten wird, gilt es diese als Teil des Problems, nicht der Lösung zu betrachten.
Die Ambivalenz von Rechten lässt sich mit Blick auf Lohnarbeitsverhältnisse verdeutlichen. Zwar mögen Rechte Arbeitnehmer_innen vor allzu anmaßenden Zumutungen von Arbeitgeber_innen schützen und damit eine Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen erwirken, die zugrundeliegenden Widersprüche bleiben aber unangetastet. Vielmehr werden herrschende Verhältnisse juristisch festgeschrieben, in der Menschen sich immer wieder in der Rolle des Bittstellers wiederfinden und ihre Arbeitskraft zu den Bedingungen der Arbeitgeber_innen verkaufen müssen.
Dies gilt ähnlich für die Forderungen von Rechten für nichtmenschliche Tiere: Diese können im gewissen Maße vor der Verfügung über ihr Leben geschützt werden. Die Überwindung von Vorstellungen der Minderwertigkeit nichtmenschlicher Tiere und hieraus resultierende Verfügungsansprüche sind aber nicht Ziel theoretischer und praktischer Auseinandersetzungen für die Rechte der Tiere. Dementgegen muss die Bedeutung rechtsstaatlicher Institutionen und Verfahren für speziesistische Unterdrückungsverhältnisse selbst Gegenstand der Kritik sein. Andernfalls droht der Appell an Rechte für nichtmenschliche Tiere bloß auf ihren Schutz innerhalb bestehender herrschaftlicher Strukturen hinauszulaufen.

Das Ziel, die Abschaffung der Nutzung, Ausbeutung und Ermordung nichtmenschlicher Tiere über den Bezug auf Tierrechte zu erreichen, ist daher zumindest problematisch, wenn nicht gar unmöglich. Es stellt sich die Frage, ob es nicht anderer Grundlegungen und Herangehensweisen bedarf, etwa die Befreiung der Tiere.

Tier-Befreiung?

Tatsächlich führen sowohl gegen nichtmenschliche Tiere gerichtete Handlungen, wie auch die gegenwärtige Gesetzgebung in die Ermordung nichtmenschlicher Individuen. Damit ist aber nur ein Teil des Problems erfasst. Grundlegend sind auch gesellschaftliche Strukturen, Denkformen und Herrschaftsverhältnisse, die nichtmenschliche Tiere auf eine bestimmte gesellschaftliche Position festschreiben und die sie als minderwertig, nutzbar, verwertbar und generell als Objekte menschlicher Interessen konstruieren. Es stellt sich daher auch die Frage, wie diese Vorstellungen hervorgebracht werden, nicht nur was an ihnen „falsch“, „vorurteilsbehaftet“ oder „falsches Bewusstsein“ ist. Die Beantwortung dieser Frage muss daher auch unter Einbezug der Kritik der gegenwärtigen Verfasstheit von Gesellschaft erfolgen. Dass etwa die Bedürfnisse von Menschen und nichtmenschlichen Tieren hinter ihren „Wert“ zurücktreten, ist untrennbar mit der warenförmigen Organisation der Gesellschaft verbunden. Ausschließungsverhältnisse beschränken sich aber weder auf das Mensch-Tier-Verhältnis, noch auf den Kapitalismus. Die Organisation des Zusammenlebens, also die Vergesellschaftungsformen, sind durch eine Vielzahl von Macht- und Herrschaftsverhältnissen geprägt, die wechselseitig in Beziehung stehen. Der Speziesismus kann daher nicht unabhängig von anderen, mit ihm verwobenen Achsen der Herrschaft analysiert und bekämpft werden.
Unter dieser Perspektive werden auch strukturelle Bedingungen der Nutzung, Ausbeutung und Ermordung von nicht-menschlichen Tieren deutlich, die zum einem Angriffspunkt von Kritik und Protesten der Tierbefreiungsbewegung werden können, zum anderen auch die Notwendigkeit verdeutlichen, sich gesamtgesellschaftlich für die Abschaffung von Herrschaftsverhältnissen einzusetzen.

In den vergangenen Jahren haben eben jene Aspekte der Analyse von Gesellschaft und der Diskussionen um Handlungsperspektiven sowohl in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung, wie auch in der BerTA zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Der Begriff Tierbefreiung verweist gerade auf die soziale Stellung von nichtmenschlichen Tieren, in der sie im übertragenen Sinne gefangenen gehalten werden. Das heißt, es sind nicht nur die Käfige, sondern auch die Vorstellungen der Minderwertigkeit und die Ausbeutungsverhältnisse, aus denen nichtmenschliche Tiere befreit werden sollen. Referenzpunkt dieses Verständnisses von Tierbefreiung sind keine festen, immer gültigen und vereindeutigenden Konzeptionen – wie es Tierrechte nahe legen – sondern es ist die Auseinandersetzung mit dem historisch-konkreten und vorherrschenden gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis.
Ziel dieser Auseinandersetzung und einer hieraus resultierenden politischen Praxis ist die Überwindung von Ausgrenzung, Abwertung, Nutzung, Objektifizierung und Beherrschung von nichtmenschlichen Tieren. Das heißt es geht um Veränderung von herrschaftlich organisierten Verhältnissen und nicht um ethisch korrektes Handeln bzw. die bestmögliche Befriedung von Interessenswidersprüchen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Tierbefreiung statt Tierrechte!

Wer am katastrophalen Mensch-Tier-Verhältnis etwas ändern will, braucht keine Rechte zu fordern, sondern muss eine Diskussion über einschränkende Lebensbedingungen von nichtmenschlichen Individuen (herbei) führen, zudem den gesellschaftlichen Kontext und die zugrundliegenden Denkweisen und sozialen Praxen, die in ihre Beherrschung führen, thematisieren. Natürlich sind damit auch konkrete Forderungen verbunden. Diese richten sich aber nicht an Instanzen, die mit der Umsetzung beauftragt werden, sondern die Tierbefreier_innen mit ihren Überzeugungen und Handlungsformen selbst rücken als gesellschaftliche Akteur_innen in den Blickpunkt. Mit dem Begriff Befreiung lässt sich deutlich machen, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung gesucht wird, die nicht durch die Gewährung oder Erkämpfung von Rechten beendet ist, sondern immer wieder nach einschränkenden Lebensbedingungen und der sozialen Stellung von nichtmenschlichen Tieren in unserer Gesellschaft fragt, mit eben dem Ziel, sie aus diesen Verhältnissen zu befreien.

In genau jenem Verständnis wollen wir, die Berliner-Tierbefreiungs-Aktion (BerTA), uns für die Veränderung des gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses, sowie auch für die Veränderung der Gesellschaft als Ganzes einsetzen. Der Bezug auf die Befreiung nichtmenschlicher Tiere verleiht diesen Überzeugungen den (gegenwärtig) besten Ausdruck.

Berliner-Tierbefreiungs-Aktion (BerTA)