Offener Brief der Berliner Tierrechtsaktion an A.K.T.E.

Offener Brief der Berliner Tierrechtsaktion an A.K.T.E.

Obwohl wir die über die Jahre hinweg allzu oft wiederkehrenden Diskussionen über die Legitimität des sog. „KZ-Begriffs“ verfolgt und uns daran beteiligt haben, waren wir ehrlich gesagt schockiert und enttäuscht, dass Menschen tatsächlich so weit gehen und sich mit der Botschaft „Für Tiere ist jeden Tag Dachau“ vor die Tore der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau stellen. Wir wollen einige Gedanken zu dieser Aktion loswerden, da sie unserer Meinung nach weit über die Grenzen des unkommentiert Hinnehmbaren hinausgeht.

Wir finden diese Mahnwache äußerst unsensibel. Das Konzentrationslager Dachau wurde 1933 durch die NationalsozialistInnen errichtet, bis 1945 fanden hier weit über 30,000 Menschen den Tod. Heute ist es eine Gedenkstätte für genau diejenigen Menschen, die dort ermordet wurden und für die ca. 67,000 Menschen, die bei der Befreiung dort noch am Leben waren. Sie soll dazu dienen, an ein konkretes historisches Ereignis zu erinnern. Menschen besuchen Dachau vor diesem Hintergrund und es ist nicht angebracht, davon abzulenken. Einen Ort wie Dachau für Propagandazwecke zu instrumentalisieren (ganz egal, wie wichtig die eigenen Anliegen auch sein mögen) ist einfach unsensibel, respektlos und schlecht überlegt. Darüber hinaus finden wir es sehr fragwürdig, ob mit einem solchen „Tabubruch“ eine Massensensibilisierung erreicht werden kann und sollte. Unter den BesucherInnen sind Überlebende des Konzentrationslagers und Angehörige von Menschen, die dort gefoltert und ermordet wurden. Habt ihr vorher daran gedacht, wie verletzend und erschütternd eine solche Aktion für diese Leute sein könnte?

Auch das Motto der Demonstration „Be peaceful, be veggie, be happy“ ist angesichts des Ortes misslungen und fast zynisch.

Auf vegan.de, habt ihr eure Mahnwache als „mutige Aktion“ beschrieben. Da stimmen wir nicht zu. Immer und immer wieder wurde genau dieser Vergleich gemacht, von TierschützerInnen, „Fleisch“ essenden NachrichtensprecherInnen, Autonomen, der NPD und in einem bekannten Fall von einem Richter. Der Begriff ist veraltet, nichts Neues. Nur weil viele Menschen ihn als kränkend empfinden und weil er kontrovers ist, wird er immer wieder angewendet in der Hoffnung, dass mensch dadurch einen Moment lang Aufmerksamkeit bekommt.

Und genau hier liegt ein großes Problem. Denn überall sehen Menschen mittlerweile KZs: in Massentierhaltungen, „Versuchstier“-Zuchten oder Hochsicherheitsknästen. Und plötzlich sind alle Menschen, wenn sie „Fleisch“ verzehren, doch wie Nazis, eben auch Juden und Holocaustüberlebende, nur nicht die VeganerInnen. Der Holocaust erscheint nicht als ein einmaliges und in unserer Geschichte nicht zu vergleichendes Geschehnis, sondern als etwas, woran wir uns alle einmal beteiligt haben, mehrmals am Tag sogar. Denn er geschah auf unseren Tellern! Ob es so gemeint war oder nicht (und wir gehen eigentlich davon aus, dass ihr keine antisemitischen Absichten verfolgt), ihr relativiert den Holocaust, macht ihn zur Normalität. Begriffe verlieren an Bedeutung und an Aussagekraft, wenn sie überall und für alles verwendet werden. Wenn so viele Sachen „Holocaust“ sind, welche Worte haben wir noch, um den Holocaust zu beschreiben? Wie beschreibt mensch die Täter, wenn wir alle zu gleichen Maßen Nazis sind?

Auch um die Gewalt und Ausbeutung gegenüber nichtmenschlichen Tieren zum Ausdruck zu bringen, brauchen wir Worte. Wir brauchen die Möglichkeit, das, was diesen Tieren angetan wird, genau zu beschreiben und zu benennen. Und das tun wir nicht, wenn wir einfach mal „Hühner-KZ“ sagen. Das, was diese Tiere erfahren, ist nicht erst dann schlimm, wenn es Dachau ist.

Ein Aspekt dieses Problems wird besonders deutlich, wenn mensch (wie ihr es ja gemacht habt) direkt vor den Toren einer Gedenkstätte demonstriert und sagt: „Die Tiere sind ebenfalls Opfer eines Rassenwahns“. Hier besteht eine große Gefahr, die Grenze zwischen Täter und Opfer zu verwischen, die Opfer des Holocausts quasi für einen eigenen Holocaust (gegen nichtmenschliche Tiere) verantwortlich zu machen. Das haben auch Gruppierungen wie die NPD bemerkt und für ihre eigenen Zwecke benutzt, als sie vom „Bombenholocaust“ sprachen, oder der Tierschutzverein VGT-Schweiz, wenn er über „jüdische Aufhetzung“ schreibt. Auch wenn andere BenutzerInnen ähnlicher Vergleiche keinen Revisionismus betreiben wollen, ist es doch politisch sehr unverantwortlich und spielt denjenigen in den Hände, welche die Verbrechen der NationalsozialistInnen relativieren und verharmlosen wollen.

In eurem Text Gedanken zur Mahnwache vor dem KZ in Dachau, sagt ihr schon im Voraus, dass es euch nicht um eine Gleichsetzung, sondern um einen Vergleich geht. Gut. Nur der Satz „Für Tiere ist jeden Tag Dachau“ hört sich schon sehr wie eine Gleichsetzung an, bzw. IST eine. Weiterhin bedeutet Vergleichen nicht nur Ähnlichkeiten, sondern auch Unterschiede zu untersuchen und herauszustellen. Der einzige Unterschied, den ihr scheinbar entdeckt habt, ist die „Spezies“ der Opfer. Jedenfalls seid ihr der Meinung, dass „alle Unterscheidungen doch den Tätern dienen“. Unterscheidungen dienen in erster Linie dazu, eine Sache wirklich zu verstehen. Um etwas bekämpfen zu können, muss mensch den gesellschaftlichen und historischen Kontext verstehen. Denn nichts passiert in einem Vakuum. Das Mindeste, was mensch von einem Arbeitskreis erwarten kann, der sich mit ethischen Fragen auseinandersetzt, ist Differenzierungsfähigkeit und die Bereitschaft, hinter oberflächliche und nichtsdestotrotz sehr fragwürdige Parallelen zu schauen.

In eurer Erklärung weist ihr auch darauf hin, dass es euch hierbei um das ähnliche Leiden geht: „Hunger und Durst, Schmerzen, Verzweiflung und Todesangst verspüren Menschen UND Tiere“. Um das zu erklären, bräuchten wir keinen KZ-Vergleich. Leiden ist individuell. Ein Mensch leidet wie ein anderes Tier allein, fühlt Schmerz allein und nicht als Masse. Wenn du mich schlägst, dann tut es mir weh — unabhängig davon, wie viele andere Menschen geschlagen worden sind. Wenn mensch ein Tier einsperrt und umbringt, leidet das Tier. Und dies nicht mehr oder weniger, weil es möglicherweise auch in Alabama, Brandenburg und anderen Orten der Erde passiert. Der Vergleich wird zum einem zumeist mit Zahlen gerechtfertigt (wie viele Opfer, nicht wie intensiv das Leiden), diese Konzentration auf Mengenangaben blendet wiederum die Individuen aus und zum zweiten mit oberflächlichen Bildern (Wachtürme, Schuppen, Reihen), die aber weder über Ursachen noch Wirkung etwas aussagen.

Wenn es euch bei dem Vergleich nur um das Leiden ginge, würden andere Vergleiche genau so häufig verwendet. Ein Kaninchen in einem Labor leidet wie ein Waschbär auf einer Pelzfarm, leidet wie ein Opfer eines Autounfalls, wie eine Überlebende einer Vergewaltigung, wie ein Insasse in Einzelhaft … Denn wer soll sagen, wessen Leid größer oder schlimmer ist? Aber diese Sachen sind nicht gleich und es ist niemenschem geholfen, wenn wir die Unterschiede ausblenden und alles einfach beim gleichen Namen nennen. Mord ist Mord, aber „Fleischproduktion“ ist nicht Vivisektion, „Zirkustiere“ werden nicht, wie Animal Peace es meint, „vergewaltigt mit Applaus“ und Dachau ist weder Wiesenhof noch eine Demonstrationsstelle.

Berliner Tierrechtsaktion (BerTA), April 2006