Risiken und Nebenwirkungen Ein Antirepressionstext

Risiken und Nebenwirkungen
Ein Antirepressionstext

Die Tierbefreiungsbewegung rüttelt an den Grundfesten der Gesellschaft und erntet hierfür nicht nur Wohlgefallen. Im Gegenteil: Was Staat und Gesellschaft zuwiderläuft, wird repressiv beantwortet und kriminalisiert.

Es gibt heute wohl keine politisch arbeitenden Menschen, Gruppen und Organisationen, die sich nicht im Laufe der Zeit durch staatliche Repression in ihrer Arbeit behindert sahen. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Tierbefreiungsbewegung. Die Liste „unserer“ Gefangenen ist lang. Zu lang. Sich der Repression oder vielmehr den Formen der Repression gewahr zu sein und aktive Solidarität mit den Gefangenen und von Repression Betroffenen zu zeigen, ist ein integraler Bestandteil jeder starken emanzipatorischen Bewegung.

Eine Kernfunktion bürgerlicher Staaten und eben auch staatlicher Repression ist die Gewährung der Sicherung gesellschaftlicher Verhältnisse. Dass diese Verhältnisse durch Herrschafts- und Ausbeutungssysteme gekennzeichnet sind, wird den Tierbefreiern und Tierbefreierinnen Tag für Tag nur allzu deutlich vor Augen geführt. Eine Perspektive, welche auf die Überwindung dieser Verhältnisse, also der Überwindung des Speziesismus, der Naturbeherrschung und der Verwertungslogik zielt, muss zwangsläufig an die Grenzen dessen stoßen, was dieses politische System zu tolerieren bereit ist. Allein der Aspekt Tiere nicht als Ware zu betrachten, steht im Widerspruch mit dem gesetzlich verankerten Recht auf Eigentum.

Repression setzt dort an, wo gesellschaftliche Normierungsprozesse nicht mehr greifen, wo TierbefreierInnen sich aktiv gegen die speziesistische Normalität wenden, sich organisieren, sich artikulieren und nach ihren Überzeugungen handeln. „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“, „Hausfriedensbruch“ oder gar „Bildung und Unterstützung krimineller Vereinigungen“ sind einige Beispiele von Konstrukten, welche sich der Repressionsapparat geschaffen hat, um gegen TierbefreierInnen vorzugehen und in der Vergangenheit auch angewandt hat.

Es gibt jedoch nicht die eine Repression, vielmehr ist von verschiedenen Formen von Repression zu sprechen. Sie ist mitunter der Kriminalisierung und des Zugriffs staatlicher Verfolgungsbehörden vorgelagert und beginnt dort, wo Freiheitsrechte und folglich Handlungsmöglichkeiten politischer Arbeit systematisch eingeschränkt werden, dort wo überwacht, observiert und bespitzelt wird und auch dort, wo Auflagen an Demonstrationen gestellt werden. Auf der nächsten Ebene sehen sich AktivistInnen mit Hausdurchsuchungen, „erkennungsdienstlichen Behandlungen“ und den unterschiedlichsten Anzeigen konfrontiert. Fortgeführt wird Repression durch die Justiz, welche Geld-, Haft- und Bewährungsstrafen gegen Menschen erwirkt. Die Auswirkungen sind jedoch nicht ausschließlich Verurteilungen, vielmehr wird ein Gefühl der Einschüchterung und der Verunsicherung erzeugt, welches in allgemeiner Ohnmacht münden kann und somit der Abschreckung gegen jene dient, die nach Ausdrucksformen ihrer Unzufriedenheit suchen.

Repression richtet sich zumeist gegen die Handlungen einzelner Personen, seien es die Beteiligung an Go-Ins in Modehäusern, an Ankettaktionen vor Tierversuchslaboren oder an Direkten Aktionen wie Tierbefreiungen. Diese individuellen Handlungen geschehen jedoch aus einer politischen Überzeugung heraus, welche alle TierbefreierInnen und TierrechtlerInnen teilen, nämlich dass es eine Gesellschaft anzustreben gilt, in der Tiere nicht aufgrund irgendwelcher Interessen durch Menschen gefangengehalten, in ihren Bedürfnissen beeinträchtigt und getötet werden. Insofern zielt jede Repression nicht nur darauf, einzelne Personen aus politischen Zusammenhängen zu isolieren und ihre Handlungsmöglichkeiten einzuschränken, sondern sie ist zugleich immer auch ein Angriff auf unsere Vorstellungen und eine Form der Unterdrückung gegen uns alle.

Vor diesem Hintergrund muss die Tierbefreiungsbewegung Strategien zum Umgang mit der Repression finden. Solidarität darf sich nicht im gemeinsamen Organisieren von Demonstrationen oder Kampagnen erschöpfen. Menschen, welche von Repression betroffen sind, fühlen sich allein, allein wenn sie vor Richtern und Staatsanwälten stehen, allein, wenn sie Strafbefehle abbezahlen müssen, allein, wenn sie hinter Gefängnismauern einschlafen müssen. Ihnen muss ebenfalls unsere Solidarität zuteil werden, sei es in Form von finanziellen Hilfen für fortschrittliche Anwälte und Prozesskosten, durch Betreuung von Betroffenen und Prozessbeobachtungen, öffentliche Infoveranstaltungen, Solipartys oder dem Schreiben aufmunternder Briefe an Gefangene. Ziel unserer Solidarität muss es sein, staatliche Repression und die Versuche Einzelne zu isolieren und handlungsunfähig zu machen, zu untergraben und eben jene Handlungsfähigkeit wieder herzustellen bzw. zu erhalten. Erfolgreiche Solidarität muss sich daran messen, ob Menschen nach dem Zugriff durch Verfolgungsbehörden oder nach Gefängnisstrafen nicht derart desillusioniert sind, dass sie die Auseinandersetzung für die Befreiung der Tiere und der Menschen meiden.

Berliner Tierrechtsaktion (BerTA), August 2006

Literatur- und Internetverweise:

Durch die Wüste – Ein Antirepressions-Handbuch für die politische Praxis. Herausgegeben von einem AutorInnenkollektiv, erschien 2000 beim Unrast-Verlag in Münster. (ISBN 3-89771-404-3)

Anarchist Black Cross – internationales, anarchistisches Solidaritätsnetzwerk.
www.anarchistblackcross.org

Projektwerkstatt Saaßen – linkes Netzwerk, arbeitet viel zum Umgang mit staatlicher Repression
www.projektwerkstatt.de/antirepression

Rote Hilfe – strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation. Gibt vierteljährlich die Antirepressions-Zeitschrift „Die Rote Hilfe“ heraus.
www.rote-hilfe.de

Tierrechtsgefangene.de – aktuelle Nachrichten und Adressen von Gefangenen aus der Tierbefreiungsbewegung.
www.tierrechtsgefangene.de