Verachtet, geschlachtet und vergessen

Verachtet, geschlachtet und vergessen

Über den Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft
Wie es zur Gewalt gegen Tiere kommt und wie sie überwunden werden kann

Die Schizophrenie einer tierschützerischen Gesellschaft

Unsere Gesellschaft gibt sich tierschützerisch. Bürger XY ist empört, wenn Satanisten rituell eine Katze köpfen. Bürger XY fordert hohe Gefängnisstrafen für Pferderipper, die nachts im Blutrausch Pferde aufschlitzen. Bürger XY schüttelt verständnislos den Kopf über die Chinesen, die Hunde essen. Tierschutz gehört zum Anstand genauso wie das Bekenntnis zur Demokratie und die weihnachtliche Spende für UNICEF. Das Tierschutzgesetzt komplettiert den Selbstbetrug: Tieren kann es in unserer Gesellschaft gar nicht schlecht gehen, denn wir haben ja das Tierschutzgesetz. Tierliebe gilt als die Norm und Tierquälerei als verwerfliche Abweichung von der Norm. Die Mehrzahl der Menschen hierzulande fühlt sich auf der Seite der Norm. Es wird nichts Widersprüchliches daran gefunden, mit der einen Hand die Katze zu streicheln und mit der anderen Kotelett zu schneiden. Für die Mehrzahl der Menschen ist es selbstverständlich, dass die einen Tiere unter den Tisch und die anderen auf den Tisch gehören. Es scheint zwei Kategorien von Tieren zu geben: lebens- und liebenswerte Tiere, denen alle erdenkliche Fürsorge zuteil wird und lebensunwerte Tiere, die zum Verzehr vorgesehen sind. Das Schlachten von Schweinen und Rindern scheint etwas grundsätzlich Anderes zu sein als das Rippen von Pferden. Der Tod des Familienhundes scheint etwas total Anderes zu sein als der Tod des Mastkalbes. Das Essen von Hunden und Katzen in China gilt als barbarisch, das Essen von Lämmern und Hühnern hierzulande dagegen als zivilisiert. Milde gesagt, lebt die Mehrzahl der Menschen im Blick auf den Umgang mit Tieren schizophren. Drastisch gesagt, ist die Mehrzahl der Menschen alles andere als tierlieb, sondern tagtäglich verantwortlich für Schmerzen, Angst und gewaltsamen Tod unzähliger Tiere, die das Pech hatten, mit der Kategorie Nutztier bedacht worden zu sein.

Auch wenn die tierverarbeitende Industrie samt ihrer Marketingfirma (CMA) alles dafür tut, das Leid und Elend der so genannten Nutztiere vor den Augen der VerbraucherInnen zu verbergen: dieses Leid und Elend ist real und jeder Tier/Tierprodukt-Konsumierende ist verantwortlich für lebensbeendende Gewalt gegen Tiere.

Das Tierschutzgesetz ist nichts anderes als ein Feigenblatt für die sich zivilisiert wähnende Gesellschaft. Es schützt maximal einige auserwählte Tiere und verhindert nicht im Entferntesten die unvorstellbare Gewalt gegen so genannte Nutz- und Versuchstiere. Das Tierschutzgesetz liefert die hohlen Paragraphen für eine Gesellschaft, die ohne Wimpernzucken jährlich 46 Millionen Schweine umbringt, aber richtig böse wird, wenn Nachbar?s Katze weh getan wird.

Könnt ihr die Schreie der Tiere nicht hören? – Die Realität und ihr gemeinschaftliches Verdrängen

Der Ge- und Verbrauch von Tieren gilt in unserer Gesellschaft als normal. Die meisten Menschen betrachten es als ihr gutes Recht, Tiere zu nutzen. Manchmal kommen aber Skrupel auf. Wenn z.B. durch Undercover-Recherchen Bilder aus Legebatterien, Massenställen oder Schlachthöfen an die Öffentlichkeit dringen; wenn mal wieder wegen einer Tierseuche gekeult wird; wenn Rinderleichenberge brennen; wenn man auf der Autobahn Tiertransporter überholt; wenn man Schlachttiere schreien hört – dann kommen Zweifel auf: Liefert das lachende Schwein auf der Werbetafel des Metzgerladens wirklich freiwillig und freudig sein Fleisch? Dann drängt sich die Frage auf, ob das Ausmaß an Leid und Gewalt gegen Tiere zu rechtfertigen ist. Leider werden solche Fragen und aufkommende Skrupel allzu schnell wieder weggewischt. Behilflich dabei sind vier Umstände: (1.) Man ist nicht permanent den Schreien und Blicken der gemarterten Schweine, Kälber, Hühner ausgesetzt. Die meisten Tiertransporter rollen wohlweislich des nachts über unsere Straßen. Im Schlachthof wird die Arbeit in den dämmrigen Morgenstunden und hinter hohen Mauern abgewickelt. Die Mastanlagen und Legebatterien befinden sich außerhalb der Städte — wenn man nichts sehen will, sieht man nichts. (2.) Die erschütternden Bilder von brutal getretenen und geschlagenen Schweinen, von halbnackten und ausgemergelten Legehennen, von isolierten und in enge Boxen gepferchten Kälbern, von um Luft und Leben ringenden Rindern auf Transportern — diese Bilder gehen nach und nach unter in der alltäglichen Bilderflut — wenn man sich an nichts erinnern will, erinnert man sich an nichts. (3.) Schon von klein auf werden wir an die Selbstverständlichkeit des Fleischessens und Benutzens von Tieren gewöhnt. Unsere ersten Bilderbücher handeln vom Leben auf dem Bauernhof, wo es das Normalste der Welt ist, dass die Kühe, Schweine und Hühner irgendwann auf dem Tisch liegen — tot natürlich. Der Abtransport und Schlachtungsvorgang wird allerdings ausgeblendet. In diesen Büchern sprechen die Tiere sogar zu uns und teilen uns mit, dass sie dafür da seien, uns Menschen Milch, Eier, Wolle und Fleisch zu liefern. Dabei machen die Tiere auch so lustige Gesichter — den macht es bestimmt auch Freude, uns ihre Produkte zu schenken. Hinzu kommt natürlich unsere tägliche Kost — Körper und Gaumen werden an Fleisch und Tierprodukte gewöhnt. Wie wir ideologisch und geschmacklich in der Kindheit geprägt wurden, das steckt tief in uns drin — wenn man nicht neu denken und essen will, denkt und ißt man nicht neu. (4.) Wenn man den brutalen und benutzenden Umgang mit Tieren in Frage stellt, wird man oft als verweichlicht und gefühlsduselig belächelt. Wider alle Logik wird die Leidensfähigkeit der Tiere für unwichtig erklärt und es wird unser gutes Recht, sie zu nutzen und zu töten, hervorgekehrt. Dieses Recht scheint über aller Vernunft und allem Mitgefühl zu stehen. Gegen dieses gemeinschaftliche Verdrängen der täglichen Gewalt gegen Tiere, gegen diese Arroganz und Ignoranz der Macht, gegen dieses Vergessen kämpfen Tierrechtler (Eine Demo-Parole lautet: Könnt ihr die Schreie der Tiere nicht hören; wir müssen eure Ruhe stören.).

Die ganz Anderen – Ein tiefer Graben liefert das reine Gewissen

Die Schizophrenie unserer Gesellschaft beim Umgang mit Tieren ist zunächst einmal festzustellen. Dann ist zu fragen: Wie kann es bei vermeintlich normal empfindenden und denkenden Menschen dazu kommen, dass sie die Anwendung extremer Gewalt gegen fühlende Individuen anderer Spezies und deren Tötung für niedere Zwecke als selbstverständlich ansehen?

Das geht nur mit Hilfe eines tiefen Grabens, der zwischen Menschen und Tieren aufgerissen wurde. Das, was Menschen und Tiere verbindet, wird ausgeblendet. Zum Beispiel die Tatsache, dass Menschen und Schimpansen zu 98 % gleiche Gene haben; zum Beispiel die Tatsache, dass Menschen und Affen, Menschen und Katzen, Menschen und Mäuse, Menschen und Elefanten, Menschen und Vögel, Menschen und Fische gleichermaßen an ihrem Leben hängen und es auf vielfältige Art erleben (in Freude, Trauer, Schmerz, Geselligkeit, Kommunikation, Angst, Spaß usw.). Ausgeblendet wird zum Beispiel die Tatsache, dass Beagelhunde, Ratten oder Makaken bei Experimenten an ihren Gehirnen und Organen Angst und Schmerzen in voller Intensität empfinden — es sind die gleichen Schmerzen, die ein Mensch bei derartigen Experimenten an seinem Körper erleiden würde. Ausgeblendet wird zum Beispiel die Tatsache, dass Rinder und Schweine ahnen, ja wissen, dass ihr Gang in den Schlachthof ihr letzter sein wird, weil sie das Blut und die Angst ihrer Schicksalsgenossen riechen und spüren — wie auch wir wissen würden, was uns blüht, wenn wir in eine (hypothetische) Menschenschlachtanlage getrieben würden.

Dagegen wird mit großem Aufwand das betont, was Menschen und Tiere voneinander trennt: Menschen können rational denken, sich einer komplexen Sprache bedienen, Subjekte ihrer Geschichte werden, eine besondere Beziehung zu Gott herstellen, zwischen gut und böse unterscheiden. Diese Fähigkeiten sollen die Einzigartigkeit und höchste Wertigkeit des Menschen begründen und gleichzeitig einen tiefen Graben zwischen ihm und den (anderen) Tiere ausschachten. Gemäß dieser Sicht stehen die Menschen als vollkommene, denkende, moralische, zivilisierte, kulturelle, intellektuelle Ebenbilder Gottes auf der einen Seite des Grabens. Ihnen gegenüber, durch den tiefen Graben getrennt, stehen die Tiere als unvollkommene, instinktgeleitete, triebhafte, dumpfe Bestien. Das ist die Sicht, die Menschen unserer Gesellschaft im unterbewußten kulturellen Gepäck haben und die voll wirksam ist. Das so genannte christliche Abendland hat über Jahrtausende diesen dicken Trennungsstrich zwischen Menschen und Tieren gezogen. Das Christentum war dabei genauso behilflich wie die Philosophie, die Aufklärung und schließlich der Kapitalismus. Immer wurde die Welt in Gegensätze eingeteilt, immer wurde die Wirklichkeit aufgespalten und in Trennungen gedacht: Hier die Herren — dort die Sklaven; hier die Christen — dort die Heiden; hier die Zivilisierten — dort die Barbaren; hier die weißen und kultivierten Europäer — dort die schwarzen oder indigenen Wilden usw. Und immer wurde auch eine Abgrenzung von den Tieren vollzogen, ihre Unterdrückung verschärft und ideologisch befestigt. Die Natur, das Tierische, das Animalische bildete immer die Kontrastfolie, von der sich die Menschen leuchtend abheben wollten. Unsere christlich-abendländische Geschichte ist eine Geschichte der Entfernung von den Tieren. Nach und nach wurden viele Aufspaltungen — etwa die zwischen Herren und Sklaven – als Unrecht entlarvt und überwunden. Doch die Unterwerfung der Tiere ist in den letzten Jahrhunderten immer brutaler und perfider geworden. Der dicke Trennungsstrich zwischen Menschen und Tieren prägt unser Denken viel tiefer als wir vermuten.

Die notwendige Überwindung einer Ideologie

Aber dieser Trennungsstrich ist konstruiert. Die Biologie und auch unser Tiere einschließendes Mitgefühl kennen diesen dicken Trennungsstrich zwischen Menschen und Tieren nicht. Dieser Trennungsstrich ist ideologisch gemacht und wird ideologisch abgesichert. Der angeblich so tiefe Graben zwischen Menschen und Tieren wurde im Interesse der Ausbeutung von Tieren durch die Menschen gegraben. Man brauchte eine Legitimation für die Unterwerfung und Ausnutzung der Tiere. Die christlich-abendländisch konstruierte Trennung zwischen Menschen und Tieren ist Wahn, nicht Wirklichkeit, ist Ideologie, nicht Wahrheit. Diese Trennung begründet und befördert Herrschaft und Gewalt. Diese Trennung beraubt Tiere ihrer Würde und Rechte und stattet die Menschen mit allen Willkürrechten und Herrscherphantasien aus. Und dieser ideologische Trennungsstrich macht es den scheinbar normal denkenden und empfindenden Menschen unserer Gesellschaft möglich, die Anwendung extremer Gewalt gegen fühlende Individuen anderer Spezies und deren Tötung für niedere Zwecke als selbstverständlich anzusehen. Menschen und Tiere sind sich viel, viel näher als uns die abendländische Herrenmenschenideologie glauben machen will. Es ist an der Zeit, das trennende Denken zu überwinden und ein verbindendes Denken zu lernen. Dabei könnte auch die Sprache helfen, wenn man zum Beispiel nicht mehr undifferenziert und abspaltend von den Tieren spricht, sondern von nichtmenschlichen Tieren. Wir müssen endlich aufhören, Angehörige nichtmenschlicher Spezies als minderwertig bloß aufgrund ihrer nichtmenschlichen Spezieszugehörigkeit anzusehen. Denn genausowenig wie wir die Krone der Schöpfung sind, die zur Unterwerfung anderer befugt ist, sind die Tiere für Menschen gemachte Objekte der Beherrschung.

Wir müssen aufhören, nichtmenschliche Tiere von unserem, vermeintlich höherem Standpunkt aus zu definieren und abzuqualifizieren. Nichtmenschliche Tiere sind vollständige und vollwertige Wesen, deren Wert und Würde nicht vom Urteil des Menschen abhängt. Nichtmenschliche Tiere müssen wir als solche wahrnehmen, die sie sind – eigene, eigenständige Lebewesen, die eine Welt für sich sind. Sie sind für sich, in ihrem Lebens-, Kommunikations- und Sozialzusammenhang eigenwertige Wesen, denen nichts fehlt. Tiere sind für sich da und keineswegs für uns. Bloß aufgrund einer Herrenmenschenideologie, die uns im Kopf sitzt, meinen wir, dass nichtmenschliche Tiere mangelhaft und minderwertig und für uns da seien. Bloß weil wir unsere Maßstäbe — Intellekt, Sprache, Selbstbewußtsein — an nichtmenschliche Tiere anlegen, erscheinen sie uns minderbemittelt und minderwertig. Warum aber sollen unsere Fähigkeiten zum Maßstab für die Beurteilung des Lebenswertes nichtmenschlicher Tiere genommen werden? Wir nehmen doch auch nicht die Fähigkeiten und Qualitäten eines Hundes zur Beurteilung unserer Wertigkeit. Da wären wir auch schnell verloren, denn wir könnten mit den Kommunikations- und Lebensvollzügen eines Hundes nicht einen Tag lang mithalten. Vom Standpunkt des Hundes aus wären wir minderbemittelt und minderwertig. Wir müssen endlich aufhören, Fähigkeiten zur Grundlage eines Werturteils zu nehmen. Denn da kann am Ende nur gnadenloser Sozialdarwinismus herauskommen. Wir müssen uns befreien von dem Wahn, nur wir Menschen hätten Wert und Würde gepachtet und seien die besten und wertvollsten Wesen dieser Welt. Wert und Würde sind großzügiger verteilt und umfassen genauso nichtmenschliche Tiere.

Die herrschaftskritische Dimension des Veganismus

Menschen, die sich ernsthaft für die Überwindung der Herrschaft der Menschen über Tiere einsetzen, ist die Abschaffung von jeder Unterdrückung ein wichtiges Anliegen. Im Falle des Unterdrückungsverhältnisses Mensch-Tier liegt aber die besondere Situation vor, dass sich jeder selbst entmachten muß, seinem eigenen Willen zur Macht eine Absage erteilen muß. Jeder, sofern er Fleisch konsumiert, ist Unterdrücker, der seinen Willen einem anderen Wesen (dem Schwein, Rind oder Huhn) aufzwingt und durch Anwendung von Macht und Gewalt den Willen und das Sein des unterdrückten Wesens auslöscht. Will man aus diesem Unterdrückungsverhältnis aussteigen, ist kein Lippenbekenntnis oder revolutionärer Habitus nötig, sondern Veganismus. Will man von der Unterdrückung nichtmenschlicher Tiere zur Solidarität mit ihnen gelangen, ist Veganismus die Grundbedingung. Das betrifft also die persönliche Lebens- und Ernährungsweise und markiert zugleich den Unterschied zum heuchlerischen und schizophrenen Tierschutz in unserer Gesellschaft. Erst mit einer veganen Lebensweise durchbricht man die Machtstruktur und befreit nichtmenschliche Tiere aus ihrem Opferstatus.

Auch wenn Tier/Tierproduktkonsumenten oft versuchen, den Veganismus als persönliche Macke einiger Gutmenschen abzutun, muss hier gesagt werden: Veganismus hat eine politische, eine herrschaftskritische Dimension und wird von den Meisten aus politischen Gründen und nicht aus Gründen der persönlichen Reinheit praktiziert. Veganismus durchbricht die institutionalisierte Gewalt gegen Tiere und destabilisiert das gegenwärtige Machtverhältnis, das nichtmenschlichen Tieren nicht den Hauch einer Chance gegen menschliche Nutzungsinteressen läßt. Die Kostverweigerung ist ein Teil der Überwindung der überdimensionalen Gewalt in Mastfabriken und Schlachthöfen. Der tötende Blick — Die vorbereitende Gewalt gegen Tiere

Die Überwindung der Gewalt gegen Tiere muss in den Köpfen beginnen. Denn die reale Gewalt gegen Tiere hat ihre Ursache in einer vorbereitenden, konzeptionellen Gewalt. Der Tod eines Schweins ist schon beschlossene Sache, bevor der Schlachter es umgebracht hat. Das Schwein ist Fleisch, bevor es zerstückelt auf dem Teller liegt. Es ist der Schnitt in den Hals und die Kategorisierung als Schlachtvieh, die das Schwein tötet. Es ist also bereits unser Blick auf ein Tier, der über dessen Leben oder Tod entscheidet. Unsere Einteilung von Tieren in Nützlichkeitskategorien, in Schlachtvieh oder Mastvieh, ebnen ihren Weg in den Tod. Das Schlachten eines Schweins ist kein Ausrutscher, kein zufälliges, überraschendes Töten, sondern gewolltes, bewußtes, ideologisch legitimiertes geplantes Töten. Ein Töten, das im Kopf begann. Ein Töten, das mit dem Blick begann, mit dem das Tier angesehen wurde, in welche Kategorie es gesteckt wurde. Hier zeigt sich, dass Blicke tatsächlich töten können. Die Beziehung von Mensch und Nutztier ist grundsätzlich eine Beziehung der Gewalt. Die meisten nichtmenschlichen Tiere in unserer Gesellschaft werden instrumentalisiert und als Schlachtvieh, Versuchstier, Pelztier usw. benannt. Doch dagegen muß gesagt werden: Ein Schwein ist nicht Fleisch, sondern wird zu Fleisch gemacht. Ein Beagelhund ist kein Versuchshund, sondern wird zum Versuchshund gemacht. Ein Nerz ist kein Pelztier, sondern wird zum Pelztier gemacht. Die Benennung der Tiere nach ihrer Nutzbarkeit für den Menschen hat nichts mit ihrem Sein, sondern dem Bewußtsein von Menschen zu tun (Günther Rogausch). Dieser Blick auf die Tiere ist ein soziales Konstrukt. Animal Liberation (Befreiung der Tiere) bedeutet die Aufhebung dieser Instrumentalisierung nichtmenschlicher Tiere; Animal Liberation bedeutet die Durchbrechung der Definition nichtmenschlicher Tiere über ihre Nutzbarkeit für den Menschen. Echte Solidarität mit nichtmenschlichen Tieren bedeutet, Kühe, Schweine, Hühner, Puten und viele andere tierliche Individuen nicht als Schlachttiere zu stigmatisieren. Das muss besonders gegenüber der heuchlerischen, pseudo-tierlieben Gesellschaft gesagt werden: Das eigentliche Vergehen an Tieren besteht nicht in bestimmten Haltungsbedingungen oder Schlachtmethoden, sondern in der grundsätzlichen Kategorisierung von Tieren in Nutz- und Schlachttiere, in der Legitimation ihrer Benutzbarkeit. Will man diese konzeptionelle Gewalt gegen Tiere bekämpfen, muß man vor allem auch kritisch mit der Sprache umgehen.

Die Rhetorik von Fleisch

Die gängige Sprache verrät an vielen Stellen den verächtlichen Blick auf Tiere (z.B. viele Schimpfwörter). Am meisten Ideologie steckt aber in der Rede vom Fleisch. Es wird nicht von zubereitetem Körperteil oder gar Leichenteil gesprochen. Die Rede von Fleisch erweckt den Eindruck, als läge etwas und nicht jemand auf dem Teller. Das ist ein bewußter rhetorischer Vorgang, der die Gewalt und das Unrecht verschleiert. Fleisch ist nur noch ein Objekt, kein Subjekt mehr. Fleisch hat keinen eigenen Willen mehr. Fleisch dient nur noch dazu, den Gaumen eines Menschen zu kitzeln. Mit der Rhetorik von Fleisch wird der gewaltsame Tod des nichtmenschlichen Tieres wegdefiniert. Der Begriff Fleisch macht die nichtmenschlichen Tiere unkenntlich und unsichtbar, genau wie die Zubereitungsart von Fleisch als Hamburger, Würstchen oder Nugget. Die Rhetorik von Fleisch verdeckt die brutale Entstehungsbedingung, dass nämlich ein einzigartiges und unverwechselbares nichtmenschliches Tier getötet wurde. Weder die Sprache, noch das Produkt, nichts erinnert mehr an das nichtmenschliche Tier und seinen Tod. Die wahre Identität des Tieres ist in der Warenidentität des „Fleisches“ vollkommen verhüllt worden (Günther Rogausch).

Dieser kurze Exkurs zur tatsächlichen und vorbereitenden Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere in unserer Gesellschaft, die mit Hilfe der Sprache unsichtbar gemacht wird, sollte zeigen, dass die Gewalt gegen Tiere hierzulande keine Ausrutscher oder bedauernswerte Einzelfälle sind, sondern institutionalisiert und systematisch ist. Nicht Tierliebe, sondern Tierqual ist das Normale in unserer Gesellschaft. Dieser Exkurs versucht eine Antwort auf die Anfangsfrage, warum normale Menschen schizophren ihre Katze streicheln und gleichzeitig Kotelett schneiden können. Dieser Exkurs sollte zeigen, dass für eine wirkliche Befreiung der Tiere, Anstand und Tierschutz nicht ausreichen. Es muß ein Denken überwunden werden, das Tiere aufgrund ihrer nichtmenschlichen Spezieszugehörigkeit diskriminiert. Es muß eine Sprache überwunden werden, die den Opfer- und Nutzbarkeitsstatus nichtmenschlicher Tiere festschreibt und die Gewalt gegen sie verschleiert. Und es muß eine Ernährungsgewohnheit überwunden werden, die um eines kurzen Gaumenkitzels willen Gewalt und Tod über empfindende und unverwechselbare Individuen bringt.

Fazit

Die Analyse muss gründlich, der Ansatz radikal und die Praxis konsequent sein. Nur so bleibt man nicht in der Schizophrenie unserer Gesellschaft in Bezug auf den Umgang mit Tieren stecken. Nur so destabilisiert und delegitimiert man wirklich das gewalttätige Unterdrückungssystem, in das die nichtmenschlichen Tiere hineingezwungen werden.

Doch bei aller Reflexion darf das Wichtigste nicht vergessen werden: der Respekt vor jedem einzelnen Tier, an den wir durch Skrupel und unser Gewissen erinnert werden. Dieser Respekt verbietet uns, uns zu irgendeinem Zwecke am Ergehen und Leben eines Tieres zu vergreifen.

Günther Rogausch beschließt seinen wegweisenden Aufsatz (Innerhalb einer Kultur des Schlachthofs — Jenseits von Fleisch) mit einem Fazit, an das wir uns dranhängen wollen:

„Auch zu dem Zeitpunkt, wo ich beschloß ‚Ich esse keine Tiere!‘ habe ich die Persönlichkeit der Tiere nicht auf bestimmte Faktoren reduziert oder sie mit der Persönlichkeit von Menschen verglichen […] Ich setze mich nicht für nichtmenschliche Tiere ein, weil sieso sind wie wir. Nein, über Reflexion bin ich wieder dahingekommen, mich aus dem einen simplen Grund, den ich als Kind vermutlich genannt hätte, und der mich später dazu bewog, kein ‚Fleisch‘ zu essen, zu engagieren: Weil sie sie sind!“

Stefan Seidel, Antispegruppe Leipzig

Dieser Text erschien zuerst als Artikel für den Reader der Global-Space-Odysee, später in der Tierbefreiung – Das Aktuelle Tierrechtsmagazin, Nr.52, September 2006.