Until Every Cage Is Empty!

Until Every Cage Is Empty!
Einführung in den Tierbefreiungsgedanken.

Animal Liberation!
Anfänge einer Bewegung

Ende der 60er, Anfang der 70er gehen erstmals Bilder durch die Medien, die mensch so zuvor noch nie gesehen hat. Eine kleine Gruppe beginnt in England die traditionellen Fuchsjagden zu stören. Sie stellen sich zwischen Jäger und Gejagte und verhindern so deren „Abschuss“, sie legen falsche Fährten, blasen Jagdhörner, lenken Jagdhunde in falsche Richtungen, um die Füchse vor dem sicheren Tod zu bewahren. Diese Gruppe, die ´Hunt Saboteurs Association´ legt den Grundstein, für eine neue Befreiungsbewegung, die sich mittlerweile gegen alle Formen der Ausbeutung von Tieren durch Menschen wendet und in nahezu allen Teilen unseres Planeten aktiv ist, eine Befreiungsbewegung mit eigenen theoretischen Ansätzen, eigenen Aktionsformen, eigenen Publikationen. Die Tierbefreiungsbewegung.

Wenn im folgenden die Anfänge dieser Bewegung in den 60er und 70er Jahren verortet werden, so heißt dies nicht, dass es zuvor keine Menschen gegeben hat, die sich kritisch mit dem Verhältnis der Menschen zu ihren nicht-menschlichen Verwandten auseinandergesetzt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Es gab immer Moralphilosophen, die sich überlegt haben, ob Tiere nicht Einzug in die ‚moral community’ der Menschen halten sollten. Es gab auch immer Menschen die in der Auseinandersetzung mit weiteren Unterdrückungsformen auch die Ausbeutung der Tiere mit einbezogen haben. Vor dem Zweiten Weltkrieg formulierte der Interantionale Sozialistische Kampfbund um Leonard Nelson, eine Kritik an der Herrschaft über die Tiere, welche im Zusammenhang mit der Unterdrückung der ArbeiterInnen durch die kapitalistische Organisation der Gesellschaft gesehen wurde. Bereits Anfang des 19. Jh. entstand in Großbritannien eine kraftvolle Antivivisektionsbewegung, welche der ersten Frauenbewegung entsprang. Die Theoretiker um die Frankfurter Schule, allen voran Theodor W. Adorno und Max Horkheimer entwickelten eine radikale Kritik am Prinzip der Herrschaft, die nicht zuletzt auch die instrumentelle Beherrschung der Natur und der Tiere mit einschloss.

Keiner diese Vorläufer hat jedoch die Anfänge der Tierbefreiungsbewegung gesetzt. Während die Antivivisektionsbewegung mit Europa im ersten Weltkrieg unterging, wurde der Internationale Sozialistische Kampfbund, im nationalsozialistischen Deutschland in den Untergrund getrieben und einige Jahre nach der Machtübernahme der Nazis letztendlich zerschlagen. Auch Adornos und Horkheimers Kritik an der Naturbeherrschung vermochte es nicht die StudentInnenbewegung, die sich in den 70er Jahren stark auf die Kritische Theorie bezog, zu erreichen. Zwar wird sich heute wieder zunehmend mit jenen theoretischen Zugängen auseinander gesetzt, aber erst die öffentlichkeitswirksame Aktionen der Hunt Sabotuers Association und der Animal Liberation Front vermochten es, Stichwortgeberinnen der heutigen Tierbefreiungsbewegung zu werden. Sie trugen den Tierbefreiungsgedanken auch in die Bundesrepublik, wo sich seit den Achtzigern erstmals Gruppen nach englischem Vorbild organisierten und Direkte Aktionen insbesondere gegen Jäger und Tierversuchsunternehmen durchführten.

In allen größeren Städten in Deutschland gibt es mittlerweile Gruppen, die kontinuierlich Aktionen gegen die Ausbeutung der Tiere durchführen. Sie beschränken sich dabei nicht nur auf die illegalisierten Direkten Aktionen, sondern organisieren Kundgebungen und Demonstrationen, machen Öffentlichkeitsarbeit und arbeiten nicht zuletzt auch an theoretischen Fragen zur Befreiung der Tiere. Prinzipiell besteht in „der Bewegung“ ein Ideenpluralismus, es gibt kein einheitliches theoretisches Fundament. Zahlreiche Einflüsse aus ganz verschiedenen Richtungen haben Einzug in die Überlegungen der TierbefreierInnen gehalten, aus dem Feminismus, der Kritischen Theorie, dem Poststrukturalismus oder der Moralphilosophie. Verschiedene Gruppen und Menschen innerhalb der Tierbefreiungsbewegung verorten sich immer zwischen diesen Ansätzen und Einflüssen, was es schwierig macht von der einen Tierbefreiungsbewegung mit ihrer Ideologie oder ähnlichem zu sprechen. Dieser Beitrag kann natürlich auch nur einen subjektiven Blick auf das Themenfeld bieten.


Was wir fordern, was wir wollen
Hintergründe des Tierbefreiungsgedankens

Wenn von Befreiung im Hinblick auf die Ausbeutung von Tieren die Rede ist, impliziert dies im wesentlichen zweierlei Aussagen: Zum einem leben nicht-menschliche Tiere in menschlichen Gesellschaften gegenwärtig als Unfreie. Was im speziellen heißt, dass sie daran gehindert sind sich frei zu entfalten, weil sie einfach aus ganz verschiedenen menschlichen Interessen gefangen gehalten und für eben diese Interessen in nicht geringem Maße getötet werden. Zum anderen weist der Begriff der Befreiung darauf hin, dass dieser Zustand im moralischen Sinne als Unrecht erachtet wird, den es grundsätzlich dahin gehend zu verändern gilt, als dass Interessen und Bedürfnisse von tierlichen Individuen nicht durch Menschen eingeschränkt werden, sie also frei sind von der Beherrschung und Unterdrückung durch die Menschen.

Nicht-menschlichen Tieren werden dabei ebenso wie Menschen als autonome Lebewesen, also entlang der Gemeinsamkeiten zu den Menschen betrachtet. Sie alle können über verschiedene Sinne Reize aus der Umwelt wahrnehmen, sie verfügen über ein zentrales Nervensystem sowie ein Gedächtnis und haben somit ein Bewusstsein um Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Letztendlich konstruieren sie sich ihre Welt allesamt in individueller Weise. So unterschiedlich die einzelnen Spezies voneinander und Lebewesen einer Spezies untereinander auch sein mögen, Menschen wie Tiere entwickeln spezifische Interessen, nicht zuletzt auch das Interesse keine Schmerzen, keine Leiden zu empfinden. Jene Interessen bedürfen der Anerkennung durch die Menschen, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass es keine Legitimation jedweder Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren für menschliche Interessen geben kann und darf.

Die Konzeption der Rechte für Tiere will die Autonomie und die Interessen der Tiere vor Angriffen durch Menschen schützen. Es geht hierbei um ein Recht auf Leben, ein Recht auf Unversehrtheit und freie Entfaltung, im konkreten den Schutz der Integrität von nicht-menschlichen Tieren vor Eingriffen durch Menschen, ob es um physische oder psychische Beeinträchtigungen, um Gefangennahme oder den herbeigeführten Tod der einzelnen Individuen geht. Tierrechte sind insofern die Rekonstruktion moralischer Überlegungen und Ausdruck eines Verhältnisses von Menschen zu Tieren, in welchem auf Tiere bezogene Handlungen nicht gerechtfertigt sind, wenn sie in deren Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung eingreifen.

Als problematisch, insbesondere im Vergleich zu weiteren Befreiungsbewegungen, wird hierbei oftmals erachtet, dass Tiere, nicht wie etwa Frauen oder rassistisch unterdrückte Menschen, ihre Rechte in welcher Form auch immer einklagen. Kühe und Schweine werden natürlich nicht vor einem Schlachthof protestieren. Dass die meisten Tiere nicht auf der menschlichen Sprachebene mit uns kommunizieren können, bedeutet noch lange nicht, dass Menschen nicht die Fähigkeit bzw. das Vermögen haben, auch non-verbale Kommunikation von Tieren zu deuten, so z.B. Schmerzen. Auch ein Blick auf das Zusammenleben von Tieren mit Menschen macht deutlich, dass die allermeisten Tiere nicht freiwillig in menschlichen Gemeinschaften leben. Wozu bräuchten Forscher und Forscherinnen Käfige, um ihre sog. Versuchobjekte gefangen zu halten, wenn Affen, Ratten oder Hunde nicht jede unverschlossene Tür nutzen würden, den Experimenten und der beklemmende Enge ihres vergitterten Lebensraumes zu entkommen? Wozu brauchen Zirkusdompteure Peitschen, wenn Tiere nicht unfreiwillig durch brennende Reifen springen würden?

Speziesismus
Von den Beziehung der Menschen zu den Tieren

Die Betrachtung der allgegenwärtigen Ausbeutung der Tiere durch die Menschen aus dem Blickwinkel der TierbefreierInnen, ist ernüchternd. Tiere sind für die meisten Menschen eben dafür da, tot und bis zur Unkenntlichkeit entstellt auf ihren Tellern zu landen. Tiere sind Objekte, denen mensch keinerlei Gehör zu schenken brauch, was zählt ist, dass Tiere ein Nutzen für Menschen haben, sei es als Nahrungsmittel, als Versuchsobjekt oder als Teil der Kleidung. Ernüchternd ist dabei nicht nur die Behandlung der Tiere, sondern auch die Einstellung ihrer menschlichen Verwandten ihnen gegenüber. Die Ausbeutung von Tieren wird von den meisten Menschen nicht als jene wahrgenommen, dass dies so ist, ist nicht ausschließlich dem bösen Willen der Menschen zu zuschreiben. Tiere zu erniedrigen und gefangen zu halten, ist vielmehr das, was der Großteil der Menschen als normal, als ihr Gutes Recht erachtet. Dies ist über Jahrhunderte gewachsen und hat sich der menschlichen Kultur eingeschrieben. Tiere werden nicht aufgrund der Gemeinsamkeiten, sondern entlang der Unterschiede zu den Menschen betrachtet. Die prinzipielle Andersartigkeit der Tiere im Gegensatz zu den Menschen macht sie zu Objekten moralischer Überlegungen, sie als Subjekte ihrer selbst wahrzunehmen, würde nicht zuletzt bedeuten, die Handlungen jedes einzelnen auch in Bezug auf nicht-menschliche Individuen zu hinterfragen.

Um die Unterdrückung der Tiere und die zugrunde liegenden Mechanismen zu untersuchen und zu benennen, entwickelte Richard Ryder 1970 den Begriff des Speziesismus. Analog zu Rassismus und Sexismus als Unterdrückungsformen, werden Tiere aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit als minderwertig in Abgrenzung zu den Menschen erachtet. Die Tierbefreiungsbewegung hat diesen Begriff bzw. diesen Ansatz aufgegriffen und weiterentwickelt. Speziesismus wird heute im Zusammenhang mit der Beschreibung von Einstellungen und Handlungen verwandt, welche darauf zurückzuführen sind, dass Tiere als minderwertig erachtet werden.

Der Speziesismus durchzieht alle gesellschaftlichen Ebenen, Schichten, Klassen. Er macht sich nicht an Personifikationen, wie bösem raffgierigen Kapitalisten fest, der Tiere nur deshalb ausbeutet, weil er seinen Profit maximieren möchten und auch nicht am gefühlskalten Experimentatoren im Versuchslabor. Speziesismus ist strukturell und prinzipiell überall in unterschiedlichen Ausprägungen anzutreffen, so auch in der Sprache, wenn von „Schweinen oder Säuen“ als Beleidigungen die Rede ist. Was diese Ausdrücke erst zur Herabsetzung von Menschen machen lässt, ist der Rückbezug auf die vermeintliche Minderwertigkeit der Tiere. Diese Minderwertigkeit vermittelt sich wiederum durch die Verwendung eben jener Ausdrücke. Speziesismus reproduziert sich in der sprachlichen, bildlichen und schriftlichen Darstellung, in Einstellungen, Denkweisen und Handlungen. Speziesistische Handlungs- und Denkmuster erweisen sich über die Jahrhunderte deshalb als so flexibel, da sie durch Sozialisationsprozesse durch jeden einzelnen individuell aufgenommen, verarbeitet und angeeignet werden.

Speziesismus ist immer vermittelt und in der historischen Betrachtung immer auch Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Bestimmte Aspekte, welche die grundsätzliche Andersartigkeit von Tieren belegen sollen, wandeln sich von Zeit zu Zeit, so wurde noch vor 200 Jahren fest davon ausgegangen, dass es keinerlei naturwissenschaftliche Begründung gäbe, dass Tiere Leiden und Schmerzen erfahren könnten, von einem Bewusstsein gar nicht zu sprechen. Während sich derartige Annahmen im weiteren geschichtlichen Verlauf, bspw. in der wissenschaftlichen Forschung nicht halten ließen, werden im Gegenzug wieder ganz andere Eigenschaften oder Attributen von Tieren im Vergleich zu den Menschen ins Feld geführt, welche eben diese Andersartigkeit belegen sollen, z.B. dass kein Tier über eine dem Menschen vergleichbare Sprache oder Grammatik verfügt oder aufrecht geht. Was hiermit gezeigt werden soll: der Mensch ist einzigartig, die Tiere sind die Anderen. Diese Unterschiede legitimieren wiederum die Ungleichbehandlung von Menschen und Tieren, unabhängig von ihren Gemeinsamkeiten, bspw. der Fähigkeit Schmerzen zu empfinden, Leid zu erfahren.

Genauer betracht gibt es ‚das Tier’, gleichermaßen ‚den Menschen’ nicht. Beides sind sprachliche und gedankliche Konstruktionen. Während Hunderte, gar Tausende Spezies und Abermilliarden Individuen hinter dem Begriff von ‚dem Tier’ verschwinden, erscheinen die Menschen, bzw. der Mensch als Spezies allein durch diese sprachliche Kategorisierung als einzigartig. Diese Grenze entlang der Nicht-Zugehörigkeit zur Spezies Mensch ist willkürlich und dient der Aufrechterhaltung speziesistischer Handlung- und Denkweisen, denn die genetischen Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen sind wesentlich geringer, als jene zwischen Schimpansen und Kreuzspinnen oder Krokodilen. Die Kategorie ‚Tier’ hat sich kulturhistorisch entwickelt und wurde in unterschiedlicher Weise durch Religionen oder die Ideengeschichte ausgedeutet. Der Mensch wird heute mit Kategorien der Vernunft, der Seele, der Rationalität, der Kultur oder der Intelligenz in Verbindung gebracht, während ‚das Tier’ auf der anderen Seite mit den jeweiligen negativen Äquivalenten gleichgesetzt wird. Tiere gelten als Inbegriff der Triebhaftigkeit und der seelenlosen Körperlichkeit, sie handeln aufgrund von Instinkten und sind grundsätzlich naturverbunden. Diese Zuschreibungen sind willkürlich. Auch Menschen handeln aufgrund bestimmter Instinkte oder Triebe und Tiere können ihre Umwelt verändern und Kultur schaffen, natürlich in individuell verschiedener Art und Weise. Hinter diesen kategorialen, dualistischen Denken steht der Prozess der Selbstaufwertung, die Eigenschaften der Anderen negativ zu besetzen, wodurch die eigene Gruppe aufgewertet wird. Hierdurch entstehen Wertehierarchien, welche letztendlich in Unterdrückungsformen münden, bzw. diese legitimieren.

Das Aufwerten der eigenen Gruppe, bei gleichzeitigen Abwerten der als anders Betrachteten ist charakteristisch für zahlreiche weitere Unterdrückungsformen. Ausgangspunkt ist immer die Zuschreibung von positiv besetzten Eigenschaften zu einer als relativ einheitlich wahrgenommenen Gruppe, seien es die eigene Rasse, im Rassismus, die eigene Nation beim Nationalismus, das eigene Geschlecht und die eigene sexuelle Orientierung beim Sexismus. Im Gegenzug werden den jeweiligen anderen negative Eigenschaften zugeschrieben.

In Bezug auf das Verhältnis der Menschen zu den Tieren, ergibt sich aus dieser Perspektive die Forderung, dass es nicht um das Aufwerten von Tieren, bzw. das Abwerten von Menschen gehen kann, sondern Wertehierarchien als solche zu kritisieren und zu dekonstruieren, da sie sowohl im zwischenmenschlichen, als auch im Mensch-Tier-Verhältnis Unterdrückungsmuster legitimieren, in Ausbeutung münden und herrschaftliche Verhältnisse konstituieren. Stattdessen sollten Gemeinsamkeiten und individuelle Interessen in den Blickpunkt genommen werden, nach welchen sich das Handeln jedes Einzelnen ausrichten sollte.


Objekte menschlicher Interessen
Die Ausbeutung von Tieren in der Gegenwart

Im folgenden Abschnitt soll es um die Lebensrealität der Tiere gehen, welche für menschliche Interessen und vermeintliche Bedürfnisse, gefangengehalten, ausgebeutet und getötet werden. Um die alltägliche, strukturelle Gewalt gegen nicht-menschliche Tiere in unserer Gesellschaft zu beschreiben, bedarf es den Blick auf einzelne Bereiche zu lenken, zu denken wäre hierbei an die Massentierhaltung zur Erzeugung von sog. Nahrungsmitteln, wie Fleisch, Eiern oder Milch, der Jagd, der Versuchsforschung, der Bekleidungsindustrie, dem Zirkus oder dem Zoo. Tiere werden nach eben jenen Bereichen kategorisiert und nach Nützlichkeitskriterien für Menschen benannt, seien es nun die Schlachttiere, das Jagdwild oder die Versuchstiere. Natürlich liegt es keinesfalls im Sinn eines Schweins, als Steak auf dem Teller eines Menschen zu landen, gleichermaßen liegt es sicherlich nicht im Interesse eines Elefanten im Zoo oder im Zirkus Kunststücke zur Belustigung von Menschen darzubieten. Das es so etwas wie Nutztiere überhaupt geben kann, liegt im Bewusstsein der Menschen begründet, es ist ein soziales Konstrukt, nicht mehr, angesichts seiner Wirkungsmächtigkeit leider auch nicht weniger, wie im folgenden aufgezeigt werden soll.

Für Millionen Rinder, Schweine oder Hühner kommt auch überhaupt keine anderes Leben in Frage, als jene welche Menschen für sie vorgesehen haben. Laut Angaben des Bundesamts für Statistik betrifft dies nicht weniger als 4 Millionen Rinder, die 2004 getötet wurden, hinzu kommen 46 Millionen Schweine, welche innerhalb eines Jahres für die Nahrungsmittelproduktion in fabrikartigen Anlagen aufgewachsen, ihr Leben verbringen und beenden mussten. Die Anzahl der sog. Masthähnchen, wird seit einigen Jahren nicht mehr in Individuen erfasst, was angegeben wird sind astronomisch hohe Zahlen von Schlachtgewichten. Es dürfte schlichtweg zu aufwendig sein, mehrere Hundert Millionen Hühner auch noch zu zählen, nachdem ihnen ihr Leben genommen wurde. Diese unvorstellbar hohen Opferzahlen lassen das Individuum in dieser Tötungsmachinerie schlichtweg verschwinden. Es ist schwierig Einzelschicksale angesichts dieses Ausmaßes der Vernichtung nicht-menschlichen Lebens überhaupt zu fassen.

Wenn mensch beschreiben möchte was bspw. in den Tierfabriken und den Schlachthäuser vor sich geht, kann gesagt werden, dass bspw. ein Grossteil der Schweine ihr gesamtes Leben in kleinen Buchten gefangengehalten halten. Das sie sich nicht ausreichend bewegen können, liegt dabei im Kalkül ihrer Peiniger. Was es jedoch für jedes Schwein bedeutet, grundsätzlicher Bedürfnisse beraubt zu sein, bspw. sich nicht bewegen zu können, welches Drama die geruchsempfindlichen Tiere erleiden müssen, wenn sie in ein Schlachthaus getrieben werden, während sie das Blut ihrer Artgenossen riechen, all jenes kann mensch nur erahnen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich viele Schweine im wahrsten Sinne des Wortes auf ihren letzten Metern quer stellen, sich nur durch Gewalt in die Hände ihrer Mörder treiben lassen. Natürlich erlebt jedes tierliche Individuum diese und andere Situationen, ganz individuell, was diese Tiere miteinander verbindet, ist ein Interesse keine Schmerzen zu empfinden und zu leben.

In anderen Bereichen sieht es nicht viel anders aus. Geradezu zynisch muten Bilder von glücklichen Hühner auf Tiertransportern oder Verpackungen von Eiern an, blickt mensch der Lebensrealität jener Tiere ins Auge. Diese Lebensrealität dauert in der Regel nicht mehr als 40 Tage. Was es später im Supermarkt als mitunter bis zur Unkenntlichkeit entstellte ‚Nahrungsmittel’ zu kaufen gibt, wird überhaupt nicht mit dem verknüpft, was zuvor geschehen sein musste. Eier, wie auch Fleisch sind zu Waren erklärt, es ist wird geradezu verleugnet, dass es eine Gewalttat geben musste, mit Tätern und Opfern. Fleisch ist nicht einfach nur Nahrungsmittel, es ist ein Stück eines toten, durch Menschen getöteten Tiers.

Auch Milch ist Produkt eines Gewaltverhältnisses, auch wenn nicht wie beim Fleisch ein Tier unmittelbar getötet werden musste, damit sie in den Kühlschrank gestellt werden kann. Letztendlich sind Tiere in den Augen der Milchindustrie dafür da Milch zu produzieren, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass Kühe, die nicht den Kosten-Nutzen Kalkülen entsprechende Mengen an Milch produzieren, getötet werden; dass sie gewaltsam geschwängert werden, da eine Kuh nicht wie es Kindern oftmals suggeriert wird ‚einfach so’ Milch geben; dass die Kinder der Kühe von ihren Müttern entrissen werden. Auch hier lassen sich die Dramen für Kühe und Kälber nur erahnen. Dramen welche beim Verzehr von tierlicher „Nahrung“ aus dem Bewusstsein der Menschen getilgt sind.

Eine weiteres spezielles Ausbeutungsverhältnis ist die Jagd, bzw. die verschiedenen Ausprägungen der Jagd. Sicherlich hat jeder Mensch eine Vorstellung davon, was sich bei der Jagd abspielt. Menschen zumeist aus der städtischen Mittelschichten fahren am Wochenende in den Wald, um dort Tiere zu erschießen oder wie es im Jägerjargon genannt wird, zu erlegen. Nun mag es recht unterschiedliche Gründe geben, was Menschen zu derartig archaischen Verhalten veranlasst, sei es mit möglichst prächtigen Geweihen vor den Gesinnungsgenossen zu protzen, das sog. natürliche Gleichgewicht wieder herzustellen oder einfach nur aus Lust an der Freude über Leben und Tod zu entscheiden. All diese hervorgebrachten Begründungen der Jagd auf nicht-menschliche Individuen sind jedoch aus einer Tierbefreiungsperspektive auf das Schärfste abzulehnen. Wiederum werden Interessen von Menschen, in diesem Fall der Jäger, über die Interessen der Tiere gestellt, mit nur zu blutiger Konsequenz. Auch das Aushängeschild der Jägerlobby, doch das durch den Menschen zerstörte natürliche Gleichgewicht wieder ins Lot zu bringen, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ausgemachter Humbug. Zum ersten blasen die Jäger zum Angriff auf Beutegreifer, wie Füchse oder Marder, während sie sich im Gegenzug als die natürlichen Regulatoren der Bejagten aufzuspielen. Zum zweiten greifen Jäger massiv in Ökologie der Wälder, Wiesen und Äcker ein, sie hegen erst diejenigen Tiere, bspw. durch sog. Futterkrippen oder das Aussetzen zuvor „gezüchteter“ Wildschweine, welche sie später aufgrund vermeintlicher Überpopulation zu erschießen trachten. Zum dritten verschmutzen sie Wälder und Grundgewässer durch Munitionsrückstände (z.B. Blei) in nicht unerheblichen Maße, nicht zuletzt verängstigen sie Tiere durch andauernden Lärm durch die Verwendung ihrer Waffen. Eine Kritik an der Naturzerstörung muss dort ansetzen, wo auch seine Ursachen liegen, eben bei den Menschen, welche Wälder unter Nützlichkeitskriterien zu Baumäckern umwandeln und bei denjenigen welche frühere Wälder und Wiesen „urbar machen“, was in der Realität nicht anderes bedeutet als den Lebensraum zahlloser Individuen zu zerstören. Die Veränderungen der Lebensräume von Tieren außerhalb der sog. Nutztierhaltung durch den Menschen, können nicht durch die Abschusslisten der Jäger rückgängig gemacht werden. Es gilt ein anderes Zusammenleben von Menschen und Tieren zu organisieren, welches nicht-menschliche Individuen nicht als veränderbare Variable einer Projektion, wie Natur zu sein habe, erachtet.

Weit über zwei Millionen nicht-menschliche Tiere, allen voran Ratten, Mäuse und Kaninchen, aber auch Hunde, Katzen und Primaten fallen alljährlich der sog. wissenschaftlichen Forschung und der Versuchsindustrie in Tierversuchen zum Opfer. Während in den 1980er Jahren mitunter mehrere Tausend Menschen gegen Versuche an nicht-menschlichen Individuen auf die Straße gingen, ist die Kritik heute bis auf wenige Ausnahmen verstummt. An der Durchschlagskraft der Argumente von ExperimentorInnen und ForscherInnen dürfte dies nicht liegen. Eine Kritik an Tierversuchen kann aus einer antispeziestischen Sicht jedoch nicht an Diskussionen, um eine Übertragbarkeit der Ergebnisse, welche unter unvorstellbaren Praxen Tieren abgerungen wurden, abarbeiten. Vielmehr gilt es den Focus darauf zu legen unter welchen Bedingungen und vor welchem ideologischen Hintergrund heute Versuche durchgeführt werden. Tiere werden eben auch in der Forschung nicht als Individuen, sondern als Objekte im speziellen Versuchsobjekte betrachtet. Ihre Individualität, ihre körperliche, wie physische Verfassung und natürlich auch ihre Bedürfnisse und Interessen gehen in den unzähligen Versuchsreihen, welche für die Entwicklung einer chemischen Substanz benötigt werden, notweniger Weise unter. Tierversuche dienen ausschließlich denjenigen, welche an ihnen beteiligt sind, allen voran Pharmaunternehmen als Alibiveranstaltung in der Entwicklung von Medikamenten. Aber auch sog. WissenschaftlerInnen und ForscherInnen, um sich über Veröffentlichungen, Doktorarbeiten und Habilitationen unter Verwendung der Ergebnisse von Versuchen an nicht-menschlichen Tieren Ansehen zu verschaffen und hierüber vermittelte beruflichen und wirtschaftlichen Vorteile zu erreichen.

Diese Beispiele sollen exemplarisch verdeutlichen wie sehr der Alltag von Selbstverständlichkeiten geprägt ist, die übersetzt nichts anderes bedeuten als die Unterdrückung, Beherrschung und Ermordung von nicht-menschlichen Individuen. Das diese Beispiele nur exemplarisch bleiben können wird deutlich, wenn sich vergegenwärtigt wird, wo weitere Ausbeutungsverhältnisse liegen: in den Zirkussen, den Zoos, beim Angeln, der Herstellung von Seide, Wolle, Leder, Pelz, im Sport, in der Therapie.

Tierausbeutung ist angreifbar –
Handlungsperspektiven der Tierbefreiungsbewegung.

Eine erste praktische Konsequenz, welche sich der allgegenwärtigen Ausbeutung von Tieren zu wider setzt, wäre der Veganismus, zumeist als individuelle Ernährungsweise des Verzichts aller tierlichen Produkte (Fleisch, Milch, Eier, Honig, Butter, Käse etc. etc.) verstanden. Dabei geht der Veganismusgedanke weit über die bloße Askese hinaus. Veganismus nimmt die alltägliche speziesistischen Handlungen in den Blick. Sich nicht an der strukturellen Gewalt zu beteiligen, welche Tieren jeden Tag wiederfährt, nicht den Auftrag zu geben, Tiere zu töten oder auch nur zu „nutzen“ ist hierbei keine Frage der Ernährungsweise, sondern der Konsequenz des Tierbefreiungsgedankens. Tiere als Subjekte zu begreifen, bedeutet eben nicht, sie auf den Objektstatus des Fleischlieferanten zu erniedrigen. Fleisch auch nur als Nahrungsmittel zu betrachten, ist die Reproduktion dessen, was durch tierrechtsmotivierte VeganerInnen abgelehnt wird. Was für Fleisch gilt, lässt sich hierbei auch auf andere sog. Nahrungsmittel übertragen, aber auch auf Kosmetika und Chemikalien, zu deren Herstellung Experimente an Tieren durchgeführt wurden, wie auch Kleidung, welche aus tierlichen Bestandteilen, z.B. Leder oder Felle bestehen.

Die politische Praxis der Tierbefreiungsbewegung geht jedoch über diesen individualisierenden Ansatz hinaus. So wichtig die Konsequenzen der individuellen Lebensführung erachtet wird, so wichtig ist auch, entsprechend dem zuvor genannten Imperativ Rechnung zu tragen und alle Verhältnisse dahingehend zu ändern, dass nicht-menschliche Tiere nicht mehr als Unfreie leben müssen, bzw. für ihnen zuwider laufende Interessen ausgebeutet und getötet zu werden. Hierfür bedarf es dem Einwirken auf den gesellschaftlichen Diskurs, welche speziesistische Handlungs- und Denkweisen zur Normalität erklärt und immer wieder aufs neue reproduziert. Dabei bedient sich die Tierbefreiungsbewegung einer ganzen Reihe von Aktionsformen, welche zum größten Teil anderen Befreiungsbewegungen entlehnt, seien es Infostände in Fußgängerpassagen, öffentlichkeitswirksame Demonstrationen, welche die alltägliche Gewalt gegen die Tiere ins öffentliche Bewusstsein zurückholt, Aktionen des zivilen Ungehorsams oder auch Direkte Aktionen, die ein Unrecht direkt beenden.

Das Konzept des Campaignings, der Kampagnenarbeit verbindet diese oftmals singulären Aktionen und stellt sie unter einen organisatorischen, wie zielorientierten Rahmen. Das Campaigning macht heute einen Grossteil der praktischen, politischen Arbeit der TierbefreierInnen aus. In den 80ern und Anfang der 90er sah dies noch ganz anders aus, Aktionen wie Demonstrationen gegen Tierversuche wurden zwar mehr als heute durch die Öffentlichkeit wahrgenommen, sie blieben zumeist ihrem appellativen Charakter verhaftet und schafften es ebenso wenig wie einzelne Buttersäureanschläge auf Pelzgeschäfte oder Jagdsabotagen eine Kontinuität zu entwickeln, welche auf Tierausbeutungsunternehmen eine nachhaltige Wirkung zeigt. Zudem blieben viele Aktionen auf bestimmte Regionen oder Städte beschränkt und von einander isoliert. Ausgehend von diesen Erfahrungen setzte sich seit Ende der 90er eine aus England importierte Form der politischen Praxis durch, eben die des Campaignings.

Exemplarisch hierfür soll die Offensive gegen die Pelzindustrie näher betrachtet werden, einem Zusammenschluss von Tierrechtsgruppen und Einzelpersonen, welche sich zum Ziel gesetzt hat, mit vereinten Kräften die Pelzindustrie und den Pelzhandel ein für alle Mal zur Geschichte zu machen. Das die Aktionen im Rahmen der Offensive heute den Grossteil der Aktivitäten der TierbefreierInnen ausmachen ist hierbei eine taktische Überlegung. Die Pelzindustrie ist im Vergleich zu anderen Tierausbeutungsindustrien eine vergleichsweise Ressourcen- und Strukturschwache. Sie verfügt einerseits über wenig Lobby in der Politik, anderseits auch über wenig Rückhalt in der Bevölkerung.

Die Offensive startete zunächst 1999 eine Kampagne gegen den Kaufhauskonzern C&A, mit dem Ziel diesen dazu zu bewegen sich aus dem Handel mit Pelzen zurückzuziehen. Nach einem Jahr und einer ganzen Menge gelaufener Aktionen, wie Kundgebungen und überregionale Demonstrationen gab die Geschäftsleitung per Pressemitteilung bekannt, ganze Pelzmäntel, später dann auch alle Formen von verarbeiteten Pelz, z.B. in Form von Krägen etc. aus dem Sortiment zu nehmen. Bis heute lassen sich in den Kaufhäusern von C&A, aber auch in denen von der KarstadtQuelle AG, welches das zweite große Ziel der Offensive wurde, keine Pelze finden.

Kaufhäuser bieten sich aus verschiedenen Überlegungen als Kampagnenziele an. Zum ersten sollten hier seit Mitte der Neunziger Jahre neue Absatzmärkte für Produkte der Pelzindustrie, durch jene erschlossen werden. Zum zweiten sind Kaufhäuser nicht zwingend auf den Verkauf von Pelzwaren angewiesen, was für die einen meist nur den Verlust eines Nullsummenspieles war, bedeutete für die Pelzbranche einen massiven Umsatzverlust, da zahlreiche Abnehmer auf einmal absprangen. Zum dritten sind Kaufhausketten wie C&A, Karstadt oder das heutige Kampagnenziel Peek und Cloppenburg deutschlandweit und darüber hinaus präsent. Gruppen aus den verschiedensten Städten können sich an den Aktionen in ihrer Stadt bzw. ihrer Region beteiligen.

Die Modehauskette Peek und Cloppenburg ist mittlerweile über drei Jahre im Focus der TierbefreierInnen. Die Aktionen reichen hierbei von Infoständen, Kundgebungen, Demonstrationen, Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie Go-Ins und Ankettungsaktionen bis hin zu Aktionen der illegalisierten Animal Liberation Front (ALF). Ohne die Kampagne in allen Einzelheiten zu erörtern sei an dieser Stelle noch auf ein paar Tendenzen verwiesen. In den letzten Monaten wurden die Proteste zunehmend schärfer, überregionale Demonstrationen radikalisierten sich, wiederholt sind Buttersäure und glasverätzende Mittel gegen Filialen von P&C zum Einsatz gekommen, mit dem Ziel dem Unternehmen auch wirtschaftlich zu schädigen, da dieses die Gewalt gegen Nerze, Füchse oder Waschbären nicht schon als Grund genug für einen Rückzug aus dem Pelzhandel  erachtet. Das die Kampagne gegen Peek und Cloppenburg vergleichsweise lange dauert, liegt auch in der Entscheidungsstruktur des Unternehmens begründet, diese ist auf ein paar wenige Menschen beschränkt, zumeist sind es Mitglieder der Familie Cloppenburg. AktivistInnen nahmen dies zum Anlass auch direkt vor deren Wohnhäusern, mitunter mitten in der Nacht, ihre Meinung über den Handel mit Pelzen kundzutun. Ziel hierbei ist es, Entscheidungsträger aus der privaten Abgeschiedenheit herauszuholen und vor Augen zu halten, dass sie dafür verantwortlich sind, dass andere in engsten Käfigen gefangengehalten werden, um nach nur einigen Monaten für jene Produkte getötet zu werden, die dann als Kleidung in den Filialen von Peek und Cloppenburg zu kaufen sind.

So empfindlich die Aktionen im Rahmen der Offensive gegen die Pelzindustrie bisher waren, so berechtigt ist sicherlich auch die Frage, ob nicht die Individuen, welche in anderen Bereichen der Tierausbeutung gefangen gehalten und getötet werden (und wurden) nicht aus dem Blick geraten. Aus diesem Grund organisieren AktivistInnen auch immer wieder Demonstrationen,. Kundgebungen und Infostände gegen Zirkusse, gegen Tierversuche oder auch einfach für Veganismus. Auch wenn dieses Aktionen oftmals isoliert voneinander bleiben, soll dies keinesfalls bedeutet, dass sie keine Berechtigung hätten, im Gegenteil.

Eine weitere, in der Tierbefreiungsbewegung stark verbreite Aktionsform ist die der Direkten Aktion. Dieses Konzept zielt dabei nicht auf die Instanz Dritter, bspw. das Konsum- oder Unrechtsbewusstsein der Menschen oder die Gesetzgebung, sondern darauf ein Unrecht auf direktem Wege zu beenden. Hierbei geht es allen voran, um die Befreiung von gefangenen Tieren. In Deutschland werden jedes Jahr mehrere Hundert Tiere vor allem aus Legebatterien und Mastbetrieben herausgeholt, um ihnen ein Leben auf Gnadenhöfen zu ermöglichen oder bei Privatpersonen unterzubringen. Tiere zu befreien ist dabei in Bezug auf die Strafverfolgung keineswegs so gefährlich, wie oftmals angenommen. Oftmals fällt es schlichtweg überhaupt nicht auf, wenn aus unübersichtlichen Mastanlagen, in denen Gänse, Enten oder Hühner zu Tausenden auf engstem Raum eingepfercht sind, mal zehn, mal zwanzig, mal fünfzig Tiere „entwendet“ werden. Zumal der Markwert von Hühnern sich oftmals unter einem Euro beläuft. Auch wenn derartige Aktionsformen nicht an den strukturellen Begebenheiten der Tierausbeutung rütteln kann, so ist es für die befreiten Tiere doch im wahrsten Sinne des Wortes eine Frage um Leben und Tod, wenn sie statt nach ein paar Wochen getötet zu werden, mehrere Jahre auf einem Gnadenhof verbringen können, ohne dabei auf kleinsten Raum gefangen zu sein.

Auch Aktionen der Animal Liberation Front greift auf dieses Konzept zurück, auch sie befreien Tiere, richten sich in ihren Aktionen aber auch gegen den reibungslosen Betrieb der Tierausbeutungsunternehmen, bspw. durch ökonomische Sabotagen. Die ALF ist in den 70er Jahren in Großbritannien entstanden, sie ist mehr als Konzept, als eine Organisationsform zu verstehen. Es gibt keine einheitliche, organisierten Gruppenstruktur. Prinzipiell können alle Menschen unter dem Label der ALF Aktionen durchführen, solange bei ihren Aktionen weder Tiere, noch Menschen zu Schaden kommen. Dies gilt insbesondere auf dem durch Jäger oftmals hervorgebrachten Vorwurf, ALF-AktivistInnen würden Leitern zu Hochsitzen ansägen.

Nicht zuletzt beschäftigen sich TierbefreierInnen auch auf theoretischer Ebene mit Tierausbeutung und Speziesismus. Die Theorie um Speziesismus, Tierausbeutung und Naturbeherrschung zielt zum einen darauf eigene Handlungsweisen zu reflektieren und andererseits neue Handlungsperspektiven durch die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnisse zu erschließen. Im folgenden soll die Bedeutung an zwei Beispielen exemplarisch aufgezeigt werden, eine Rekonstruktion der theoretischen Auseinandersetzung der letzten Jahre kann an dieses Stelle nicht erbracht werden, vielmehr soll aufgezeigt werden, dass die Auseinandersetzung um eine Befreiung der Tiere über den unreflektierten „Für-die-Tiere“ Anspruch vieler selbsternannter TierschützerInnen und VeganerInnen hinausgehen muss.

Noch vor einigen Jahren wurde zur Begründung der Notwendigkeit einer veganen Ernährung von vielen VeganerInnen argumentieret, dass sich die Menschen vor Tausenden von Jahren in ihrer angeblich natürlichen Umgebung quasi vegan ernährt hätten, sie also von Natur aus dazu veranlagt wären Pflanzen und nicht Tiere zu essen. Hierfür wurde oftmals die Anordnung der Zähne oder die Länge des Darmes als Argumente bemüht. Unabhängig davon, dass sich derartige Aussagen wohl kaum belegen lassen, ist es als problematisch zu erachten, dass sich hierbei auf einen konstruierten und idealisierten Naturzustand bezogen wird, bei dem die Welt und Menschen mit sich im Reinen gewesen wären. Fraglich dabei ist, ob es einen natürlichen Zustand des Menschen überhaupt jemals gegeben hat und in welcher Zeit dieser überhaupt anzusiedeln sei. Bei genauerer Betrachtung spielt dies für die heutige Auseinandersetzung um Veganismus auch überhaupt keine Rolle, Menschen werden auch mit Fleisch, Milch und Eier alt, das biologische Argument ist schlichtweg hinfällig. Nur zu gefährlich ist es dagegen vermeintliche Gesetzmäßigkeiten der Natur auf gesellschaftliche Verhältnisse zu legen und diese quasi als Folie für die Organisation der Gesellschaft einzufordern. Wer sich diesen biologistischen Argumentationsmustern bedient, verfängt sich nur allzu schnell in Schlussfolgerungen, dass MigrantInnen ja abgeschoben gehören, es sich hier ja nicht um ihren natürlichen Lebensraum handle oder, dass Frauen von Natur aus die Kindererziehung zu käme, dem Mann dagegen das Brotverdienen, da dies im Menschen quasi angelegt sei. Dies soll verdeutlichen, dass weder biologistische Argumentationen, noch idealisierte Konstruktionen von dem was Natur zu sein habe, eine Rolle für die Auseinandersetzung um die Befreiung der Tiere spielen kann, da hier bspw. patriarchalen und rassistischen Bestrebungen Vorschub geleistet werden würde. Bezugspunkt einer Theorie der Tierbefreiungsbewegung muss das Leiden der Tiere und die strukturelle Gewalt in heutigen menschlichen Gesellschaften sein.

Weitere theoretische Auseinandersetzungen drehen sich heute um die Sprache. Beeinflusst von feministischen und poststrukturalistischen Ansätzen, wird die auf Tiere bezogenen Sprache von Menschen untersucht und versucht aufzuzeigen, inwieweit diese dazu beiträgt, speziesistische Denkmuster aufrecht zu erhalten. Dies wurde bereits in den vorherigen Ausführungen deutlich: Die Konstruktion des vereinheitlichenden Begriffs von ‚dem Tier’ reproduziert die allgegenwärtige Sicht von der Einzigartigkeit des Menschen. Die Benennung von Tieren nach Nützlichkeitskriterien impliziert bereits, dass Tiere dafür da wären, den Menschen zu nutzen. Die verklärende Sprache von Nahrungsmitteln, wenn Leichenteile getöteter Tiere gemeint sind, verdrängt die strukturelle Gewalt gegen Tiere. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass über den Tier-Begriff hinaus, Handlungen nicht-menschlicher Individuen konkret andere Benennungen erfahren, wenn vom Fressen, Werfen oder Paaren die Rede ist. Hier wird wiederum die konstruierte Grenze zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Individuen betont und eine vermeintliche mindere, vernunftlose Lebensweise signalisiert.

Diese Beispiele zeigen nur allzu deutlich, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass Sprache nur objektiv und wertneutral die Realität abbildet. Im Gegenteil, sie ist durch soziale Verhältnisse vermittelt. Sprachliche Wendungen in Bezug auf Tieren enthalten Distanzierungen, Abwertungen und Kategorisierungen, welche den Speziesismus reproduzieren. Eine konsequente antispeziesistische Praxis erfordert es daher Sprachmuster, welche auf Projektionen beruhen und auf Entindividualisierung zielen konsequent zu hinterfragen und ggf. zu ändern. Dies schließt insbesondere die Bezeichnung  von Tieren nach dem Zweck ihrer Ausbeutung („Schlachtvieh“), den Bezug auf Tiere zur Beschreibung von Verhaltensweisen von Menschen („Sich wie ein Schwein benehmen“) und die Verleugnung von strukturellen Gewaltverhältnissen („Fleisch“) mit ein.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Auseinandersetzung mit Tierausbeutung und Speziesismus nicht auf einer individuellen Ebene versanden darf. Veganismus ist zwar ein integraler Bestandteil einer antispeziesistischen Einstellung, von der Befreiung der Tiere auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist mensch damit aber noch weit entfernt. Hierfür bedarf es der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen auf theoretischer, wie praktischer Ebene. Im speziellen gilt es die Beschränkungen eines alles-für-die-Tiere-Tierschutzes aufzudecken. Sich für vergrößerte Käfige und schmerzlose Tötungsmethoden einzusetzen reproduziert eben jene Verhältnisse in denen Tiere auf ihren Objekt- und Nutzbarkeitsstatus reduziert bleiben. Stattdessen gilt es Ausbeutung, Unterdrückung und Beherrschung von nicht-menschlichen Tieren als Ganzes zu beenden.

Literaturempfehlungen:

Basisgruppe Tierrechte: Zweckgebunden produziert – entindividualisiert – transformiert in tote Ware. Eine Kritik an bestehenden Verhältnissen zwischen Menschen und anderen Tieren. Als Download unter: www.basisgruppe-tierrechte.at.tt

Birgit Mütherich: Die soziale Konstruktion des Anderen – Zur soziologischen Frage nach dem Tier. Vortrag, gehalten auf der deutschen SoziologInnentagung 2002. Als Download unter: www.atah.tk

Günther Rogausch: Innerhalb einer Kultur des Schlachthofs – Jenseits von Fleisch. Eine Exkursion entlang der Speziesgrenze oder Ein kurzer Ausflug zwischen Warenwelt und wahrer Welt. In: Leiden beredt werden zu lassen ist Bedingung aller Wahrheit. Als Download unter www.tierrechts-aktion-nord.de

Melanie Bujok: Tierschutz, New Welfarism, Tierrechte, Tierbefreiung – Ideenpluralismus in den „Bewegungen für Tiere“ Eine kritische Bewertung. Vortrag, gehalten auf der Tagung des Vegetarier-Bundes Deutschland 2002. Veröffentlicht in ‚Natürlich Vegetarisch’ und online unter www.vegetarierbund.de

Sebastian Schubert, Berliner Tierrechtsaktion (BerTA)*

*Dieser Text ist eine Ausarbeitung eines Referats im Rahmen der Vortragsreihe „Befreiung hört nicht beim Menschen auf – Perspektiven aus der Tierbefreiungsbewegung“ vom 02.11.-14.12.2005 in Berlin.