Befreiung hört nicht beim Menschen auf!

Befreiung hört nicht beim Menschen auf!

Nachbetrachtung zur Veranstaltungsreihe „Befreiung hört nicht beim Menschen auf“ in Berlin.

Im November und Dezember 2005 lief in Berlin die Veranstaltungsreihe „Befreiung hört nicht beim Menschen auf“ über die Bühne. Jeweils einmal wöchentlich lud die Berliner Tierrechtsaktion zu insgesamt sieben Veranstaltungen ein. So viel vorweg: Wir, die Vorbereitungsgruppe, werten die Vortragsreihe als Erfolg. Um die 40 Personen fanden sich jeden Mittwoch im WAF-Salon ein, verfolgten die Darstellungen der ReferentInnen und diskutierten die Ausführungen im Anschluss.

Im Vorfeld stand erst einmal die Überlegung im Raum, über Infoveranstaltungen Theorie und Praxis der Tierbefreiungsbewegung zur Diskussion zu stellen, „neue“ Menschen anzusprechen und nicht zuletzt auch dazu zu motivieren, sich für die Befreiung nicht-menschlicher Tiere einzusetzen. Uns war von Anfang an klar, dass wir den ganzen Themenkomplex Tierbefreiung, Speziesismus und das Verhältnis von Menschen und Tieren nicht in eine einzige Veranstaltung packen konnten. Zumal wir der Überzeugung sind, dass dies dem Ideenpluralismus, den verschiedenen Ansätzen und Zugängen innerhalb der „Bewegung“ auch nicht gerecht werden würde. So luden wir ReferentInnen aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen ein, die aus ihrem jeweiligen Blickwinkel berichten konnten, insgesamt kamen so sieben Veranstaltungen mit sehr verschiedenen Themen zusammen.

Um die Vortragsreihe abwechslungsreich zu gestalten, hatten wir uns dafür entschieden, Veranstaltungen mit eher theoretischerem Inhalt und bodenständigen Themen abwechseln zu lassen, um auch unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden. Zu Beginn gab Sebastian Schubert eine Einführung in den Tierbefreiungsgedanken, womit auch Menschen, die keinen oder wenig Bezug zum Thema haben, ein grundlegender Einblick in die Gedankenwelt der TierbefreierInnen und TierrechtlerInnen gegeben werden sollte. In den folgenden Veranstaltungen wurde auch recht schnell klar, dass eine Auseinandersetzung mit dem Mensch-Tier Verhältnis über ein verkürztes „Für die Tiere“ hinausgehen muss. Georg Hemprich machte in seiner Gegenrede zur Jagd deutlich, dass die Forderung nach deren Abschaffung nicht an einem radikalen Umdenken in Bezug auf Ökologie vorbeigehen kann.

Auch Melanie Bujok strich in ihren Ausführungen zur Funktionalisierung der Körper von Frauen und Tieren für bestimmte gesellschaftliche Zwecke heraus, dass es zwischen der Unterdrückung von Menschen und Tieren Überschneidungen gibt, welche nicht voneinander getrennt aufgelöst werden könnten. Im folgenden gaben Franziska Brunn und Thomas Schaldach kritische Anmerkungen zur Instrumentalisierung von nicht-menschlichen Tieren im Bereich von Tierversuchen und Kevin Kroemmer stellte dem das Konzept der Direkten Aktion und der Animal Liberation Front gegenüber, womit auch konkrete Handlungsperspektiven aufgezeigt wurden.

Sven Wirth machte zuvor deutlich, dass es auch einer Auseinandersetzung mit Macht und Sprache sowie mit dualistischer Wirklichkeitskonstruktion bedarf, um eine Kritik der Naturbeherrschung und der Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere zu entwickeln. Hieran knüpfte auch Susan Witt-Stahl in der letzten Veranstaltung in ihrer antispeziesistischen Kritik der verkürzten Herrschaftskritik an. Eine Kritik am Prinzip der Herrschaft kann nicht an gesellschaftlich konstruierten Grenzen halt machen. Ein Plädoyer für eine wahrhaft befreite Gesellschaft müsse auch die Befreiung der Tiere mit einschließen.

Wir hatten uns im Vorfeld das Ziel gesetzt, möglichst viele Menschen anzusprechen, uns war aber bewusst, dass die eher theoretischen Themen ganz konkret Vorwissen voraussetzen, welches wir aber über die Einführungsveranstaltung vermitteln wollten. In der Nachbetrachtung wurde deutlich, dass es dennoch BesucherInnen gab, die mit dem teils universitären Niveau nicht viel anfangen konnten. Wir würden es jetzt als sinnvoll erachten, stärker auf die ReferentInnen einzuwirken, schwierige Sachverhalte möglichst nachvollziehbar zu vermitteln und auf eine Verständlichkeit der Vorträge, insbesondere im Hinblick auf verwendete wissenschaftliche Termini zu achten.

Einige Schwierigkeiten bei der Organisation der Vortragsreihe zeigten sich bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. Wir haben den Anspruch verfolgt, offene, linke Räume zu nutzen, um diese zu unterstützen und auch um entsprechendes Publikum anzusprechen. Dabei wollten wir aber auch darauf achten, Menschen aus anderen Zusammenhängen nicht zu verschrecken. Unsere erste Wahl fiel auf die Yorck59, ein alternatives Hausprojekt, welches jedoch kurze Zeit später geräumt wurde. Auch der Offenen Uni in Berlin drohten zugunsten eines Life Science Zentrums (Tierversuche!) die Verträge gekündigt zu werden. Letztendlich sind wir im WAF-Salon gelandet und waren im Nachhinein sehr zufrieden. Die Größe der Räume wurde der Anzahl der BesucherInnen gerecht und der WAF-Salon wurde zudem von BesucherInnen wie ReferentInnen als sehr angenehm empfunden. Im wahrsten Sinne des Wortes als günstig erwies sich auch, dass wir selbst den Tresendienst übernahmen. So bekamen wir zusätzlich zu den Spenden auch über verkaufte Getränke während und nach den Veranstaltungen Geld für die Finanzierung der Druckkosten und der Fahrtkosten der Referierenden.

Was uns von vielen als sehr positiv angerechnet wurde, war der Versuch, über klare Regeln die Diskussion in Anschluss an die Vorträge in sachliche Auseinandersetzungen zu lenken. Eine Person übernahm jeweils die Moderation und stellte zu Beginn der Diskussion klar, wie wir uns diese vorstellten: Ohne verbale Angriffe und sonstige Herabsetzungen, dafür die Aufforderung, anderen nicht ins Wort zu fallen, die Redeliste einzuhalten und selbst auf die Länge der Beiträge zu achten. Die Diskussionen liefen dann auch sehr entspannt ab und wurden von vielen Anwesenden und auch den Referierenden als sehr konstruktiv empfunden.

Insgesamt sind wir der Überzeugung, dass sich der Aufwand sehr gelohnt hat. Diejenigen, die regelmäßig die Veranstaltungen besuchten, ließen sich eben nicht bloß an der sprichwörtlichen einen Hand abzählen. Das erschien uns insofern erfreulich, als dass die Vortragsreihe in ihrer Form anscheinend von vielen genutzt wurde, um sich kontinuierlich mit dem Themenfeld auseinander zu setzen. Zudem hatten wir augenscheinlich zahlreiche Menschen angesprochen, die wir gar nicht aus „unseren“ Zusammenhängen kannten. Besonders hat es uns auch gefreut zu hören, dass sich im Anschluss an die Veranstaltung zur Jagd spontan ein Arbeitskreis zusammengefunden hat, der (so viel können wir an dieser Stelle vorweg nehmen) in Zukunft theoretisch wie auch praktisch gegen Jagd arbeiten wird.

Grund sich zurückzulehnen bleibt für die Leute in der Vorbereitungsgruppe in den nächsten Wochen dennoch nicht. Wir haben uns noch das Ziel gesetzt, die Beiträge der ReferentInnen der Vortragsreihe, in einem Reader zusammenzutragen und so auch einen schriftlichen Überblick über die Spannweite der Tierbefreiungsbewegung zu geben.

Vorbereitungsgruppe der Veranstaltungsreihe
„Befreiung hört nicht beim Menschen auf!“

Wer fragen hat, Anregung oder Unterstützung für ähnliche Projekte sucht oder auch Kritik loswerden will, kann sich bei uns melden: vortragsreihe@gmx.net
Der Aufruf zur Vortragsreihe und die Kurzbeschreibungen der Referate, sowie ein Text der AG Gender Killer zur Diskussionskultur sind unter www.vortragsreihe.tk abrufbar.

Dieser Text erschien in „Tierbefreiung – Das Aktuelle Tierrechtsmagazin.“
Herausgegeben von „die tierbefreier e.V.“, Ausgabe 50, März 2006.

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